Gewitter zur Klärung der Lage

Die Delegierten aus den besetzten Gebieten treten nicht zurück. Doch ihr Konflikt mit der PLO-Führung ist nicht beigelegt. Unterdessen wird immer klarer, daß Israel an direkten Gesprächen mit der PLO interessiert ist.

Die drei führenden Persönlichkeiten der palästinensischen Delegation bei den Nahostgesprächen, Feisal Husseini, Saeb Erakat und Hanan Aschrawi haben ihr Rücktrittsgesuch nach einer schweren Auseinandersetzung mit der PLO- Führung in Tunis gestern zurückgezogen. PLO-Chef Jassir Arafat soll dem Delegationsführer, seinem Stellvertreter und der Delegationssprecherin zugesichert haben, sie in Zukunft bei Entscheidungen nicht mehr zu übergehen.

Was hat die Delegierten aus den besetzten Gebieten so aufgebracht, daß sie am Wochenenede mit Rücktritt drohten? War es Wut über die Art, wie ihr Präsident mit ihnen umgeht? Oder ist der Konflikt ein erstes Zeichen für einen grundsätzlichen Scheidungsprozeß zwischen den Palästinensern in den besetzten Gebieten und denen im Exil? Diese heiklen Fragen stehen im Mittelpunkt der Gespräche in Tunis, die fortgesetzt werden sollten. Ihre Ergebnisse werden nicht nur für die Zukunft der Palästinenser entscheidend sein, sondern auch für den „Nahost-Friedensprozeß“.

Die Besetzung der Verhandlungsdelegation ausschließlich mit Palästinensern aus den von Israel besetzten Gebieten war die von den USA unterstützte Bedingung des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Jizchak Schamir für eine palästinensische Beteiligung am Nahost-Friedensprozeß gewesen. Sein Nachfolger Jizchak Rabin ist dieser Linie trotz einiger Modifikationen bislang treu geblieben. Den direkten Dialog mit der PLO lehnten die Israelis aus zwei Gründen ab: Zum einen symbolisiert die PLO den geforderten palästinensischen Staat, zum anderen versteht sich die PLO sich als Dachorganisation der Palästinenser innerhalb und außerhalb der besetzten Gebiete und damit als Repräsentantin aller Palästinenser. Allerdings haben sich die Unterhändler aus der Westbank und dem Gaza-Streifen bisher auch wie PLO-Beauftragte in Tunis verhalten und jeden Schritt mit der Führung in Tunis abgestimmt. Die Gründe für die jetzigen Konflikte hängen eng mit dem Regierungswechsel in den USA zusammen.

Die Übernahme der Regierungsmacht in Washington durch die Clinton-Riege brachte die palästinensische Verhandlungsdelegation in eine unerwartet ungünstige Lage. Ex-Präsident George Bush und vor allem sein Außenminister James Baker hatten sich wenigstens bemüht, eine gemeinsame Sprache mit den Palästinensern zu finden. Wegen des wiederholt demonstrierten Einverständnisses mit Baker wurden Husseini und Aschrawi unter ihren eigenen Landsleuten schon die „Amerikaner“ genannt und Baker ihr „Übervater“. Die beiden sahen sich bereits als diejenigen, denen das Verdienst eines Durchbruchs in den amerikanisch-palästinensischen Beziehungen zu verdanken ist. Sie hofften, daß die USA auch auf Israel Druck ausüben würden, um so im Friedensprozeß zu einem für beide Seiten akzeptablen Kompromiß zu kommen.

Mit der neuen US-Administration hat sich die Situation dramatisch geändert. Seitdem bekommt die Delegation eine wenig diplomatische Sprache zu hören nach der Art: „Take it or leave it.“ Die neuen Architekten der amerikanischen Nahostpolitik seien israelischer als die Israelis selber, beklagen sich die palästinensischen Unterhändler. Trotz aller Schwierigkeiten sei es immer noch einfacher mit den Israelis zu verhandeln, als mit den Amerikanern, meinte Saeb Erakat. Die Palästinenser fühlen sich durch das neue Christopher-Team zu simplen Befehlsempfängern degradiert. Feisal Husseini kann ein Lied davon singen. Der Sieben-Punkte-Stufenplan über die Rückführung der Deportierten, den Husseini vor der neunten Verhandlungsrunde mit Christopher ausgehandelt hatte, stieß auf die Ablehnung von Rabin. Daraufhin schwenkte der US- Außenminister um und vertrat die israelische Linie. Als Husseini die amerikanischen Unterhändler an die gemeinsamen Absprachen erinnerte, wurde ihm entgegnet, er irre sich. Sein Problem wäre, daß er nicht genügend Englisch verstünde. Nicht nur das. Mehrmals forderten US-Diplomaten von der palästinensischen Delegation, nicht zu beklagen, daß der Friedensprozeß in die Sackgasse geraten sei. Sie sollten vor den Fernsehkameras lächeln und gefälligst Optimismus ausstrahlen.

Der größte Affront für die Palästinenser war jedoch das Positionspapier, das die amerikanische Seite während der zehnten Verhandlungsrunde vorlegte und das nichts als eine etwas umformulierte Abschrift des zuvor zurückgewiesenen israelischen Papiers war. Es war ein Signal, daß es mit dem palästinensisch-amerikanischen Einverständnis aus Bakers Zeiten ein für allemal vorbei ist. Das Gefühl macht sich breit, daß von der Clinton-Administration nichts mehr zu erwarten ist. Deswegen war der Schock über die Zustimmung zu dem Papier durch die PLO-Führung in Tunis um so größer. Was den Ärger weiter steigerte, war der Umstand, daß das Arafat-Schreiben Ergebnis eines Treffens von Vertretern der PLO mit Israelis und Amerikanern war, das hinter dem Rücken der Delegationsmitglieder stattfand. „Wir sind keine Briefträger“, empörten sich die Delegierten, „entweder nehmen wir an der Beschlußfassung teil oder wir bleiben gleich zu Hause.“ Khalil Abied, Kairo