Die Reihen fest geschlossen

■ Rechte mobilisieren trotz Verbots zu Rudolf-Heß-Gedächtnis-Märschen

Frankfurt (taz) – Am 17. August 1987 beging der als Kriegsverbrecher 1946 zu lebenslanger Haft verurteilte Stellvertreter von Adolf Hitler, Rudolf Heß, im Alter von 93 Jahren im Gefängnis von Berlin-Spandau Selbstmord. Am Samstag wollen Alt- und Neonazis aus der ganzen Republik und aus dem benachbarten Ausland – wie schon 1990 und 1992 – mit einem sogenannten Rudolf-Heß-Gedenkmarsch die Reihen fest schließen und an den „Friedensengel“ (NPD) Heß erinnern. Heß war 1941 in „geheimer Mission“ nach England geflogen, um dort ein „Stillhalteabkommen“ auszuhandeln – um den Zweifrontenkrieg zu beenden und so dem „Führer“ den Rücken für den Großangriff im Osten freizuhalten. Am Grab von Heß im bayerischen Wunsiedel trafen sich vor drei Jahren rund 1.300 Rechtsextremisten zu ersten „Heß-Gedenkmarsch“. Zwei Jahre später waren es schon über 2.000 AktivistInnen aus den Reihen der NPD, der Deutschen Volksunion (DVU), der Wiking- Jugend, der Nationalsozialistischen Front (NF), der Deutschen Alternative (DA) und der Nationalen Offensive (NO), die – trotz Verbots – mit Parolen wie „Juda, verrecke!“ durch die Straßen von Rudolstadt in Thüringen zogen.

In diesem Jahr wollte das „Wunsiedel-Komitee“ mit dem Hamburger Neonazi Christian Worch (Nationale Liste/NL) an der Spitze die rechte Szene in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden aufmarschieren lassen. Die Alt- und Neonazis um Worch und den Aktivisten der Deutschen Nationalisten (DN), Michael Petri, beriefen sich bei der Anmeldung der „Demonstration“ auf den Gleichheitsgrundsatz in der Verfassung. Weil in Wiesbaden am 10. Juli 1993 eine bundesweit organisierte Demonstration zum Tod des RAF-Mitglieds Wolfgang Grams habe stattfinden dürfen, könne Oberbürgermeister Achim Exner (SPD) den geplanten Aufmarsch der rechten Szene am Sonnabend in der Stadt nicht verbieten. Petri (DN): „Aus heutiger Sicht sind Heß und Grams beide von einer verfassungswidrigen Organisation, nur daß Grams – im Unterschied zu Heß – aus einer terroristischen Gruppe kam. Wenn in Wiesbaden für Grams demonstriert werden konnte, muß das auch für Rudolf Heß erlaubt sein.“ Das sah auch die Junge Union (JU), die Jugendorganisation der CDU, in Wiesbaden so: Ein Verbot des „Heß-Gedenkmarsches“ erschien den jungen Christdemokraten als „nicht sinnvoll“. „Schulterschluß mit den Faschisten“ warf das Antifaschistische Bündnis Wiesbaden/Mainz der Jungen Union vor. Die Stadt Wiesbaden hat den geplanten Alt- und Neonaziauftrieb in der vergangenen Woche erst einmal verboten. Das antifaschistische Bündnis Wiesbaden/Mainz ruft dennoch weiter für den kommenden Sonnabend zu einer Gegendemonstration oder Kundgebung in Wiesbaden auf. Treffpunkt für alle AntifaschistInnen ist die Reisiger-Anlage gegenüber dem Hauptbahnhof (10 Uhr). Nach den Erfahrungen der letzten Jahre sei zu befürchten, daß die Faschisten trotz Verbots Tausende mobilisierten. Es sei darüber hinaus keineswegs sicher, daß die Verwaltungsgerichte das von der Stadt verfügte Verbot in allen Instanzen bestätigen. Noch ist die Gegendemonstration – trotz entsprechender Ankündigungen – nicht verboten worden. Doch OB Exner stellte in der Lokalpresse klar: „Ich gehe davon aus, wenn die eine (Demo) nicht stattfindet, findet die andere auch nicht statt.“

Präventiv sind fast alle Kommunen und Landkreise in Thüringen nach den Erfahrungen von 1992 in Rudolstadt einer Empfehlung des Landesverwaltungsamtes gefolgt und haben alle Aktionen, die „der Glorifizierung und moralischen Rehabilitierung von Heß und seinem Gedächtnis dienen“, verboten. Ein für den Sonnabend geplanter antifaschistischer Aktionstag in Weimar wurde dagegen von der Stadt genehmigt. Für ganz Bayern kündigte Innenminister Beckstein (CSU) für das Wochenende die konsequente Durchsetzung eines angeordneten Versammlungsverbotes für Neonazis an. Eine antifaschistische Gegendemo in Kulmbach wurde von der Kommune unter Auflagen genehmigt. Auch in Hamburg und Bonn haben die Ordnungsbehörden präventive Versammlungsverbote für Rechtsradikale erlassen. Nach Informationen von AFP soll die sogenannte Freiheitliche Arbeiterpartei (FAP) für den Sonnabend in Hannover und Hildesheim Demonstrationen angemeldet haben. Klaus-Peter Klingelschmitt