: Das Schloß – zur Kenntlichkeit verändert
Bilanz nach vierzig Tagen barocker Kulisse: Die Illusion hat keine Zukunft / Die Fassade macht die Leere im Zentrum anschaulich / Statt politischer Vorgaben ein neuer Wettbewerb ■ Von Rolf Lautenschläger
Ein Abendspaziergang über den Operettenboulevard Unter den Linden verlangt von Schloßfreunden seit dieser Woche große innere Festigkeit. Mit Verzweiflung müssen sie mitansehen, wie vor der kitschiggelben Fassade in polternder Manier die Gerüste einer Achterbahn montiert werden. Alle Versuche, sie zu verbieten, sind an den zähen Schaustellern gescheitert – trotz der wutschnaubenden Töne des Schloßbaumeisters Wilhelm von Boddien.
Bei näherem Hinsehen werden die Schloßfans feststellen, daß die Berg- und Talfahrten nicht nur die Plastefassade gegenüber dem Lustgarten verstellen. Schlimmer noch. Vor dem geköpften „Eosander-Portal“, das mit besonderem Dekorationseifer aus gemalten Säulen und Pilastern, mit Rundbogen und Reliefs geschaffen wurde, müssen sich die Besucher an der Rummelbahn vorbei zum Eingang zwängen. Unerhört! Majestätsbeleidigung! hört man die Schloßgespenster rufen.
Mit dem Aufbau der Achterbahn wird einmal mehr die Kulissenwelt zur Kenntlichkeit verändert. Ganz klar, das Jahrmarktspektakel bildet das perfekte Pendant zur Disney-Wand. Wer bislang noch Zweifel an der platten Inkarnation des Stadtschlosses als Rummelbude hatte, sieht nun, wo die eigentlichen Bestimmungen der Illusionsmalereien liegen: Die gute alte Zeit gehört auf den Festplatz – so wie die Alt-Berliner Bierstube oder die in Schmalz gebackenen Fettkuchen nach „Großmutterart“ gleich nebenan.
Schloß und Vergangenheit im Zerrspiegel
Auch vierzig Tage Ausstellung „Das Schloß?“ und angebliche Besucherrekorde haben wenig an der Tatsache der Kulissenschieberei geändert. Im Gegenteil. Das „Schloß“ ist um keinen Deut echter geworden. Je länger man es ansieht, um so mehr verschwindet es hinter seinem lächerlichen Ausdruck. Der Zerrspiegel, in dessen Scheiben sich die barocken Planen langsam auflösen, steht symbolisch für die Geisterhaftigkeit. Wilhelm von Boddien, erster Vorsitzender des „Fördervereins Berliner Stadtschloß“ und Initiator des Spektakels, liefert gar noch selbst Indizien für die Seelenlosigkeit des Unternehmens. Boddien: „Es geht um die Barockfassaden, damit die Stadt wieder ihr Zentrum hat... Mit der Sprengung des Schlosses wurde sein Andenken getilgt, mit dem Wiederaufbau würde Schlüter als Architekt wieder ins Bewußtsein des Menschen zurückkehren.“ Authentizität, so folgert von Boddien, haftet also primär an der Form, nicht am Material und der Geschichtlichkeit des Bauwerks. Um der Fiktion nun endlich etwas Handfestes entgegenzusetzen, organisiert von Boddien nun Kostenvoranschläge und Werksteinproben für die Restaurierung.
Auch andere Befürworter der Rekonstruktion, allen voran der Berliner Verleger Wolf Jobst Siedler und Zeit-Mitherausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, haben erkannt, daß das „Schloß“ gewissermaßen mehr ab- als zunimmt: Sie debattieren die Täuschung auf der ästhetischen Ebene, beschwören die einstmals kunsthistorische Einzigartigkeit des Gebäudes und betonen den städtebaulichen Charakter des Vorhabens. Der „Jahrhundertbau“, so Siedler, müsse das historische Zentrums Berlins wieder definieren. Selbst die „Kopie“ sei noch hundertmal mehr wert als die „Großmannssucht von Moskaus Gnaden“ (der Palast, d.V.). Dennoch gipfelt Siedlers Vorstoß in einer intellektuellenfeindlichen Diffamierung. Gegen die „Fetischisten des Ursprünglichen“ bemüht er das gesunde Volksempfinden: „Es waren immer die Experten, die allem Trostlosen der Nachkriegszeit zustimmten. (...) Nun erklären die Feinde des Schlosses, die Bevölkerung habe andere Sorgen, vor allem die Berliner aus dem Ostteil der Stadt. Aber die Zehntausenden von Besuchern sind zu ziemlich genau 75 Prozent für den Wiederaufbau.“
Bei so viel Mitbestimmungspopulismus muß man fragen, was hinter der marktschreierischen Posse steckt: Richtig ist, daß bei einer Umfrage unter rund 5.000 BerlinerInnen fast 3.000 für die Wiederherstellung des Stadtschlosses plädierten – ohne allerdings zu sagen, was denn dort hineinsoll. Das „Erlebnis Pro Schloß“ fragte nicht nach Nutzung und Funktion, Machbarkeit und Finanzierbarkeit. Das Erlebnis blieb Gefühlssache. Fragt man nach dem Nutzen, den ein Schloß dort haben könnte, fallen die Antworten anders aus: Dann wollen sich sechzig Prozent der Berliner dort ein solches Ding nicht vorstellen.
Die Leere im Zentrum verlangt nach Volumen
Trotzdem. Die verschworene Gemeinschaft der Schloßgegner hat die Wirklichkeit des Kunstfassade aufgeweicht. Regine Hildebrandt, Ministerin für Arbeit und Soziales in Potsdam, hat sich ebenso wie SPD-Vize Wolfgang Thierse auf die Seite der Schloßbefürworter geschlagen, weil die „Nachbildung“ den Wert der einstigen Bausubstanz im Stadtbild demonstriere. Die Phalanx der Befürworter argumentiert dabei weniger polemisch als die Initiatoren und deren fundamentalistische Widersacher und wägt ab zwischen Planung der Außenhaut und dem Innenleben eines neuen Stadtschlosses, zwischen Stadtbild und Stadtraum. Anmaßung? Keineswegs, geht es doch um die Heilung der Wunde in der Mitte Berlins mit den Mitteln der Rekonstruktion im Geiste der Moderne – ein schwieriges Unterfangen. Kenntlich geworden ist durch die Schloßattrappe aber auch, daß der große städtische Raum in der Berliner Mitte nicht mehr leerbleiben kann. Die Achsen und breiten Schneisen haben weder der Palast der Republik noch der Riegel des Außenministeriums aufhalten können. Bei einer Fahrt in Richtung Marx-Engels-Platz meinte man immer, auf einer rahmenlosen Rennbahn entlangzuschießen, die irgendwo hinter dem Alexanderplatz endete. Einen Haltepunkt auf der Spreeinsel konnte man nicht finden.
Seit das Plasteschloß den Marx- Engels-Platz verengt, läuft der Raum nicht mehr in die Leere. Darauf haben lange vor Siedler und von Boddien auch sogenannte Schloßgegner wie der Berliner Architekturgeschichtler Julius Posener oder die Publizisten Wolfgang Pehnt und Dieter Hoffmann-Axthelm hingewiesen: Die Stadt soll dort mit ihrem einzigen Pfund, das sie trotz Zerstörung und Überformung noch besitzt, dem Stadtgrundriß, wuchern. Es stimmt. So wenig die Effekthascherei mit der Fassade Sinn macht, so sinnvoll ist die Besetzung der Leere mit dem Volumen mittels moderner Architektur. Der Palast, das wird schon jetzt augenscheinlich, verkümmert unter den maßvollen Konturen des Schlüter-Baus. Aus Richtung Lustgarten oder der Breiten Straße, von der Straße Unter den Linden und vom Werderschen Markt aus gesehen, wird der Blick auf einen offensichtlichen Schwerpunkt gelenkt – das „historische Gravitationszentrum“, wie Michael Mönninger in der FAZ schreibt.
Das „Großmodell“ führt vor, wie städtischer Raum in seinen Maßen und Perspektiven, stadtbildnerischem Nutzen und Erleben zu einem neuen Geflecht von Bauten, Straßen, Brücken und Plätzen kommen könnte. Staatsratsgebäude und Marstall im Süden, das Marx-Engels-Forum einerseits und die Straße Unter den Linden andererseits, Werderscher Markt und Lustgarten erhielten ein Gelenk, einen Abschluß, der den Raum wieder zusammenhält.
Wie diese Fläche letztendlich besetzt werden kann, wird wohl auch der zweistufige „Städtebauliche Ideenwettbewerb Spreeinsel“ nicht endgültig klären können. Zu ungenau sind die Vorgaben. Ob Konferenzzentrum oder Kulturhaus, Stadt- oder Staatsmitte, ob „geistiges Word-Trade-Center“ (Peter Sloterdijk) oder Bibliothek, es gibt keinen politischen Konsens über reale oder ideale bauliche Gestaltungsideen. Der Punkt ist, daß Inhalte fehlen. Weigerte sich die Politik nicht, dort einen lebendigen Ort entstehen zu lassen, Formen und Inhalte ließen sich finden. Ein Mix aus Urbanität und Bannmeile indessen ist ein Schmarren!
So werden am 22. August wieder die Planer ins Rennen geschickt, um die Arbeit der Politiker zu tun. Es mangelt nicht nur an Entscheidungen über die Nutzung des Areals. Die Rahmenbedingungen sehen zwar den Wiederaufbau der Schinkelschen Bauakademie und den Abriß des Außenamtes vor, wann dies geschehen kann, weiß allerdings niemand. Klar scheint lediglich, daß der Palast weichen muß, unklar dagegen, ob die Planer die Maße des früheren Stadtschlosses zu berücksichtigen haben, obwohl doch nun mit der Erfahrung „Schloß?“ Alternativen angeboten werden könnten. Offen bleibt weiter, wie die Architekten mit dem Staatsratsgebäude und seinem Umfeld – Standort unseres späteren Innenministeriums – umzugehen haben. Es steht ihnen frei, das Haus abzutragen, um zwischen Scharrenstraße und Werder Straße einen Neubaukomplex errichten zu können. Aber gerade dies wäre für das Stadtbild und die Geschichtlichkeit des Ortes schlecht. Die Auslobung hätte hier enggezurrt gehört, bildet doch das denkmalgeschütze Gebäude sozialistischer Staatsbaukunst mit dem eingepaßten Eosander-Portal gerade den Raumabschluß, der für das Gelände insgesamt herbeigeredet wird. In der Verlängerung könnte dieser sich mit der gewünschten Fassung des jetzigen Grünbereichs vor der Reichsbank – dem künftigen Außenamt – treffen.
Stadt- oder Staatsmitte? Kultur- oder „Mischnutzung“? – Das sind ungenaue Koordinaten für die Planer wie die Zukunft des Ortes selbst. Die Hilfe, die Stadtentwicklungssenator Hassemer kürzlich von Ratgebern wie Peter Sloterdijk erhielt, den gigantisch leeren Raum mit einem „Observatorium des Geistes“ zu füllen, bleiben nutzlos, solange man nicht weiß, welcher Geist gemeint ist. Inzwischen darf gesponnen werden; mit Historismus und Dekonstruktivismus, mit Stadt- und Staatsarchitektur. Das ist so schön wie sinnlos. Auch die Idee, den Stadtkörper aus dem vorhandenen Stadtraum, seinen Fragmenten, seiner Geschichte und Möglichkeiten zu entwickeln, ist nicht verbaut.
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