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Das Leben als Aufkleber

■ „No longer readymade“ – Gastspiel Meg Stuart

Eine Frau als Kleiderständer: Das Licht im Publikumssaal geht an, und eine Frau, nur in BH und Unterhose gekleidet, steht verlegen lächelnd auf der Bühne. Dazu tönt aus einem Ghettoblaster schräg verzerrte Bayernmusik. Von einem ihrer ausgestreckten Arme hängt von einem Kleiderbügel eine Herrenjacke herab und von dem anderen ein Kleid. Sie sei überall „displaced“, schreibt Meg Stuart im Programm. „In a man's coat and a woman's dress.“ Intim ist diese Desorientierung und dieses offensichtliche Unwohlsein mit sich selbst – und der Zuschauer hat daran Anteil. Aus der verborgenen Dunkelheit wird er hervorgezerrt in das grelle, bloße Licht. Und die Frau steht dort und schämt sich. „No longer readymade“ heißt Meg Stuarts Herausforderung. Eine Zumutung, vorgeführt in höchster Konzentration. Eine Uraufführung im Rahmen von „Tanz im August“. Ein Gastspiel der New Yorkerin Meg Stuart, die an so vielen Orten gelebt hat, daß sie sich nirgendwo mehr Zuhause fühlt, nicht in New York und nicht in Europa. Unbehaust und gleichzeitig gefangen wirken auch die Protagonisten in ihrem Stück für zwei Tänzer und zwei Tänzerinnen: „Nomads in a dead world“, dem Wahnsinn des eigenen Körpers preisgegeben.

Ein Mann, eine Frau: Wie Ansichtspostkarten wirken ihre scheinbar freischwebenden, nackten Oberkörper. Durch schwarze Hosen und über den Kopf gezogene Pullover ist der Rest des Körpers von der Dunkelheit verschluckt.

Mit Fotos und leuchtend gelben Blumen sind ihre Torsi behängt – ein wunderschönes Bild. Das Leben als Aufkleber. Die Leblosigkeit des schönen Scheins ist nicht zu übersehen. Nichts als entleerte Erinnerungen kleben da an den Körpern, eine bunte Vitalität, die ihnen selber nicht mehr innewohnt. Wie Marionetten bewegen sich der Mann und die Frau in ihren Umarmungen, nicht in fließenden Bewegungen, sondern mit einer ungeheuer fein verlangsamten Ruckartigkeit, die den Eindruck eines fast stehengebliebenen Films vermittelt, stellen sie eine Künstlichkeit her, die sie aus der Zeit heraushebt. Die Liebe wird zur vorgeführten Erinnerung, einer Zeit zugehörig, die nicht die jetzige ist. Was bleibt, ist das nackte Elend, die zerstörte Bewegungskoordination, das Zittern am ganzen Körper, hysterisches Lachen. Das aber ist so grandios vorgeführt, daß es trotz ungeheuer langgezogener Sequenzen eine quälende Freude ist zuzuschauen. Am eindrucksvollsten am Anfang, als ein Mann in dissoziierten Bewegungen Kopf und Rumpf fast völlig voneinander zu trennen vermag: Fünf Minuten, für die sich der ganze Abend lohnt.

Über das Berliner Tanzpublikum kann man sich nur wundern. Während im Hebbel-Theater bei den ersten Aufführungen, die jetzt im Rahmen des „Tanz im August“ stattfanden (Wim Vandekeybus' „Her Body doesn't fit her Soul“ und Liak Dror Nir Ben Gals „Figs“) die Kasse gestürmt wurde, ist bei Meg Stuarts „No longer readymade“ nicht einmal die Uraufführung ausverkauft. Beim „TanzWinter“ wiederum, dem Pendant zum „Tanz im August“, wird auch das Hebbel-Theater trotz hochkarätiger Gruppen oft nicht mehr als halbvoll. Festeingesessene Berliner Gruppen, die allgemein bekannt sind und wo man weiß, mit wem man es zu tun hat, finden größeren Zulauf als die hier unbekannten, aber sich auf wesentlich höherem künstlerischen Niveau bewegenden in- oder ausländischen Gäste. Hartmut Henne, Intendant des Theaters am Halleschen Ufer, an dem jetzt Meg Stuarts Produktion herauskam, hatte diese Erfahrung auch schon beim ersten, aus dem mageren Etat des Hauses finanzierten Gastspiel gemacht: Di Miro/M.A.R.A.M.s Oper „Der Taubstumme“, in Dresden ein großer Erfolg, spielte hier vor fast leerem Haus, und vier Tage Spielzeit reichten für die Mundpropaganda nicht aus. In der Ignoranz dem Unbekannten gegenüber erweist sich das Berliner Publikum einmal mehr als hinterwäldlerisch. Michaela Schlagenwerth

Noch heute um 20 Uhr im Theater am Halleschen Ufer

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