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Lobby – das etwas andere Restaurant

In zwei Frankfurter Gaststätten subventionieren Normalverdiener das Essen für die ärmeren Gäste / Lobby kämpft gegen Altersarmut und Obdachlosigkeit  ■ Aus Frankfurt am Main Klaus-Peter Klingelschmitt

Das „ganz andere Restaurant“ nennt Lobby – der Verein für Wohnsitzlose und Arme in Frankfurt/Main – seine Gaststätte im Bahnhofsviertel. „Zahlen Sie, sowenig Sie können“, heißt dort die Devise. Und das hat sich rumgesprochen bei denen, die in der Stadt der Banken mit ihrem Geld nicht mehr hinkommen. Der 68jährige Rentner Karl R. und seine Frau Otti gehen werktags regelmäßig zu Lobby und lassen es sich schmecken: Erbsen und Karotten, ein Stück Kasseler und Kartoffelbrei gibt's an diesem Donnerstag – und zum Dessert noch einen Schokoladenpudding. Otti R. (67) mag's lieber vegetarisch: französische Gemüsepfanne mit Reis.

Daß Karl und Otti R. für gemeinsam insgesamt sieben Mark zu Mittag essen, ein Schwätzchen mit den TischnachbarInnen halten und nach dem Lunch für 50 Pfennig auch noch in Ruhe einen Kaffee trinken können, verdanken sie einem Verein, der sich selbst als „Solidargemeinschaft“ von besserverdienenden und ärmeren Bürgern bezeichnet – Schirmherr dieses Solidarpaktes: der nicht gerade schlecht verdienende hessische Minister für Umwelt und Energie, Joschka Fischer (Bündnis 90/Grüne). Die beiden Lobby-Restaurants in Frankfurt stehen laut Vereinssatzung allen „bedürftigen und normalverdienenden“ BürgerInnen der Stadt offen. Doch die „Normalverdiener“ müssen auch normale Preise zahlen – und finanzieren so den preiswerten Mittagstisch der Armen mit. Exakt 7.50 Mark kostet ein Mittagessen bei Lobby für den „Normalverdiener“. Und wer will, darf auch mehr zahlen. Wer dagegen über ein Einkomen von unter 1.500 Mark monatlich verfügt, bekommt den sogenannten Lobby-Paß, den „Schlüssel zum preiswerten Mittagstisch“.

Es sind vor allem Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Rentner, Obdachlose und Bafög beziehende Studenten, die sich ab elf Uhr in den Lobby-Restaurants einfinden. Etwa hundert Menschen essen täglich bei Lobby im Bahnhofsviertel, fünfzig kommen in die Bockenheimer Niederlassung.

In der Lobby-Dependance in der Rödelheimer Straße 34 wird das Szegediner Gulasch und der Käsekuchen zum Dessert am Dienstag von einer freundlichen jungen Frau serviert, die als Ex- Langzeitarbeitslose froh ist, bei Lobby einen „Neuanfang“ wagen zu können. Lobby-Kellnerin Beate W. plauscht mit Erwin übers Wetter, streichelt die „Omi“ am Nachbartisch und hat auch noch Zeit für ein Gespräch mit dem Pärchen im Biker-Outfit, das den kleinen Hund mit ins Restaurant nehmen durfte.

In der Küche herrscht die immer fröhliche Ute S. Das mit den vegetarischen Gerichten, sagt Ute S., hätten sie in der Rödelheimer Straße aufgegeben, weil es „keine Nachfrage“ gegeben habe: „Die Leute wollen hier das essen, was sie kennen, und das bitte reichlich.“ Auf dem Wochen-Speiseplan stehen denn auch Gerichte wie Rühreier mit Schinken oder Putenschnitzel mit Reis.

Rund 90 Prozent der Kosten für die Mahlzeiten werden über Spenden finanziert. Nur zehn Prozent decken die „Normalesser“ ab. Das soll sich jetzt ändern: Zusammen mit der Werbeagentur Michael Conrad&Leo Burnett hat Lobby eine Kampagne gestartet, mit der einerseits die Lobby-Restaurants bekannter werden sollen – zum anderen soll den Menschen in der Wirtschaftsmetropole Frankfurt/ Main die „stetig wachsende Grauzone der Armut“ bewußt gemacht werden.

Neben Fernsehspots für Vox hat die Agentur eine Anzeigen- und Plakatserie konzipiert: „In keinem Gourmetführer, aber um die Ecke“, heißt ein Slogan der Kampagne. Ein anderer in schönstem Frankforderisch: „Mittagstisch – voll günstisch.“

„Wir wissen, daß viele Menschen sich der Armut schämen und vorhandene soziale Einrichtungen nicht annehmen“, sagt Claus Liesigk, der für Lobby die Öffentlichkeitsarbeit koordiniert. Die deutsche Wirtschaft befinde sich in der schwersten Krise seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. Immer mehr BürgerInnen müßten heute von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe leben. Weil es keine politischen Lösungsansätze gebe, seien die Menschen aufgefordert, sich selbst zu helfen. Liesigk: „Wir mußten neue Wege gehen, um der immer sichtbarer werdenden Armut und Obdachlosigkeit entgegenzutreten.“

Liesigk will den Armen nicht nur einen preiswerten Mittagstisch offerieren: „Den Kontakt herstellen zwischen den sozialen Schichten“, nennt er den Auftrag von Lobby. Armut solle nicht mehr zwangsläufig zu sozialer Ausgrenzung führen. Deshalb ist es ihm wichtig, daß auch die „Normalverdiener“ ins Lobby kommen – ganz abgesehen vom finanziellen Aspekt. – Sechs Ex-Obdachlose arbeiten in beiden Lobby-Restaurants: „Alles gelernte Köche und Kellner.“ Durch die Arbeit in den Restaurants hätten diese Menschen wieder „Boden unter den Füßen und ein Dach überm Kopf“.

Weil Lobby – wenn auch mit Spendengeldern – funktioniert, wird expandiert: In Düsseldorf wird bereits einmal im Monat in der Fichtenstraße aufgetischt. Der Verein sucht dort neue Räume, um den „Mahlzeitendienst“ demnächst, wie in Frankfurt, täglich durchführen zu können. Und im nordbayerischen Aschaffenburg steht ein Lobby-Restaurant vor der Eröffnung. Weil Lobby nicht Mitglied von Wohlfahrtsverbänden, kirchlichen- oder staatlichen Einrichtugen ist, könne man konsequenter die Finger auf die „gesellschaftlichen Wunden“ legen, sagt Liesigk. Die Spendengelder für Lobby kommen aus Wirtschaft und Politik – „vor allem aber von BürgerInnen, die für soziale Gerechtigkeit sind“. Die hauptamtlichen MitarbeiterInnen in den Frankfurter Restaurants werden über Zuschüsse der Stadt bezahlt. Und die beiden Angestellten der Geschäftsstelle in der Bockenheimer Landstraße finanzieren sich über ein Programm für Schwerbehinderte und Langzeitarbeitslose.

Neben dem Betrieb der Restaurants gibt Lobby eine Zeitung heraus, die über die „tatsächlichen Lebensbedingungen von Obdachlosen und Armen“ informieren will. Lobby hieße eben nicht Lobby, wenn nicht auch Lobby-Arbeit dahinter steckte. Natürlich will man sich bundesweit vernetzen. So bestehen bereits Lobby-Initiativen in Aachen, Aschaffenburg, Cottbus, Düsseldorf, Köln, Mannheim und München.

Auch Schirmherr Joschka Fischer hat schon im Lobby-Restaurant ein Schnitzel verdrückt. Dem Fan der toskanischen Küche hat es angeblich „ausgezeichnet“ geschmeckt. Wie sollte es auch anders sein, wäre der Gute sonst Schirm?

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