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■ Potsdamer Diskurse

Es hat fünfundzwanzig Buchstaben, ist deutscher Abstammung und zählt zur Gattung der Komposita: das Wort Vergangenheitsbewältigung. Wo es ausgesprochen wird, ergreift die Zuhörer umgehend ein melancholischer Ernst, befällt sie akute Betroffenheit, aus der sie sogleich Konsequenzen ziehen, indem sie sich räuspern, zu Boden blicken oder – der gewöhnlichste Fall – das Wort ergreifen. Sie sprechen es zunächst gleichsam zur Probe aus, als drohe es ihnen auf der Zunge zu zergehen. Wenn sich die umhüllende Luftblase als stabil erwiesen hat, beginnen sie es zu drehen und zu wenden und von allen Seiten zu betrachten. Ist das Wörtchen jedoch erst einmal entlassen in die Freiheit der gemeinen und unaufhörlichen Rede, verlangt es alsbald nach der persönlichen Stellungnahme. Das Wörtchen ist imstande und entfacht eine Nationalleidenschaft, wie Joachim Fest seine Wirkung am Sonntag abend auf der Bühne des Schloßtheaters zu Potsdam bezeichnete. Man inszenierte das Vorspiel zu einer Reihe von Veranstaltungen, die alle bang dieselbe Frage nach den „Grenzen der Vergangenheitsbewältigung“ stellen. Es geht um nichts weniger als die „DDR-Geschichte als Prüfstein für einen neuen Umgang mit der deutschen Vergangenheit“. Neben dem Herausgeber der FAZ hatte man noch den Historiker und Landtagsabgeordneten der PDS, Michael Schumann, eingeladen, der für den erkrankten Rolf Hochhuth eingesprungen war.

Wer eine muntere Auseinandersetzung erwartet hatte, sah sich getäuscht. Kein Streit über simple Sachverhalte, sondern edle Eintracht ob des heiklen Themas. Fest diagnostizierte treffsicher, daß die historische Wahrheit komplex sei und weder verheimlicht noch dämonisiert werden dürfe. Schumann stand dem nicht nach und bezweifelte, daß die Geschichte ein Berg sei, den man abarbeiten könne. Überhaupt habe für ihn der Begriff der Bewältigung zuviel mit Gewalt zu tun. Wo es doch vielmehr um die Trauer darüber gehe, daß möglicherweise viele Opfer umsonst gebracht worden seien.

Nach dieser grundlegenden Verständigung aufs Allgemeine war die Diskussion auch schon nahezu erschöpft. Also bezog man kurzerhand das Publikum mit ein. Einen ehemaligen Offizier der Volksarmee hielt es schon lange nicht mehr auf seinem Samtstuhl, und er entschuldigte sich gleich vorab („Ich spreche etwas emotional“); er wollte keine DDR-Nostalgie betreiben, rechnete sich aber einer diskriminierten Personengruppe zu und beklagte vor allem „die Kriminalität, die ungeahnte Ausmaße angenommen hat“ (Beifall rechts oben hinten.) Ob er seine Frage präzisieren könne, ermunterte ihn Diskussionsleiter Alexander Dill. „Ich habe keine Frage, ich will nur darauf aufmerksam machen.“ Nicht alle Beiträge waren derart entwaffnend und die beiden Disputanten insgesamt bemüht, therapeutisch zur Milderung der „Einheitsschmerzen“ etwas beizutragen. Was die rund 100 Zuschauer, in der Mehrzahl Potsdamer, nicht davon abhielt, einem gewissen „Versöhnungsunmut“ Luft zu machen. Es fielen Namen wie Globke und Adenauer und Anmerkungen zur mißglückten Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Frei nach dem Motto „Das darf uns aber nicht noch mal passieren“ bewältigten nun vornehmlich die Bürger (West) die Vergangenheit (Ost), und zwar in „bewußter Engführung der Geschichte der DDR als Repressionsgeschichte“ (Schumann) bis hin zur Analogie zwischen DDR und NS-System: ein heikler Punkt. Er empfinde es als „Fundamentalbeleidigung“, so Schumann weiter, wenn die gesamte Gesetzgebung der DDR als die eines Unrechtssystems abgestempelt werde und damit jede Form der Loyalität gegenüber dem Staat rundweg zu Handlangertum erklärt werde. Verletzungen dieser Art habe es nach der Vereinigung viele gegeben. Hochnotpeinlich geriet die Fragestunde allerdings erst, als der anwesende Künstler – ein gewisser Herr Fenner aus Ratzeburg, der für eine „versinnlichende“ Bühneninstallation gesorgt hatte – zu einer Performance ansetzte. Forderte er doch die verdutzten Redner auf, ihm „hier und jetzt, jetzt und hier“ die Hände zur Versöhnung zu reichen, was von diesen freilich weniger symbolisch als geflissentlich ignoriert wurde. Unter allgemeiner Erheiterung und nach dem obligatorischen Schlußwort vertagte man sich auf die weiteren Termine. Thomas Fechner-Smarsly

Weitere Veranstaltungen zu „Grenzen der Vergangenheitsbewältigung“ im Schloßtheater Potsdam am 26.9., 7.10., 10.10., 7.11. und 14.11., Teilnehmer und Anfangszeiten bitte erfragen.

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