: „Im Rahmen der Möglichkeiten“
Hessens Innenstaatssekretär Kulenkampff (SPD) verteidigt zurückhaltende Polizeitaktik bei Heß-Aufmarsch in Fulda / Kritik an Polizeiführung von CDU und Grünen ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) – Seit dem Aufmarsch der Alt- und Neonazis in Fulda am Sonnabend fühlt sich Oberbürgermeister Homberger (CDU) von der Exekutive gegängelt. Nachdem er von der Polizei zunächst spontan die Auflösung der Heß-Demonstration der 500 Rechtsradikalen verlangt hatte, ließ er sich von der Einsatzleitung vor Ort umstimmen. Der Versuch einer Auflösung, so die Argumentation der Einsatzleitung, hätte zu gewalttätigen Auseinandersetzungen geführt – und Homberger danach seine Stadt nicht mehr wiedererkannt. Das jedenfalls berichtete gestern der Landtagsabgeordnete der Grünen, Fritz Hertle aus Fulda, nach Informationen aus Magistratskreisen.
Der Einschätzung der Einsatzleitung vor Ort schloß sich gestern auch der Staatssekretär im hessischen Innenministerium, Christoph Kulenkampff (SPD) an: Eine Auflösung der Demonstration sei „aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ nicht vorgenomen worden. Kulenkampff: „Dies hätte mit großer Wahrscheinlichkeit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen geführt.“ Hauptziel des Einsatzes sei die Vermeidung von Auseiandersetzungen zwischen rechten und linken Gruppen gewesen – „und dieses Ziel ist im Rahmen der Möglichkeiten erreicht worden“.
Am Rande der Pressekonferenz mußte Kulenkampff indirekt eingestehen, daß man in Hessen die Lage offenbar falsch eingeschätzt hat. Im Vorfeld, so der Staatssekretär, sei allerdings nicht zu erkennen gewesen, daß die Neonazis in Fulda eine Demonstration veranstalten wollten. Daß Journalisten bereits „im Vorfeld“ über die Absichten der Neonazis informiert waren und nach Fulda fuhren und daß Radiosender schon gegen 16 Uhr vom „neuen Versammlungsort Fulda“ berichteten, kommentierte Kulenkampff mit einem Achselzucken. Die Neonazis hätten der Polizei gegenüber erklärt, daß sie – nach der Abriegelung von Bischofferode – zu einer verbotenen Kundgebung der DVU nach München reisen wollten. Kulenkampff: „Offensichtlich entschloß man sich spontan zu einer Demonstration in Fulda, was für die Polizei nicht vorhersehbar war.“
Bekannt wurde gestern auch, daß sich die Polizei von den Rechtsradikalen tatsächlich linken ließ. Das vor dem Konvoi der Neonazis fahrende Polizeifahrzeug fuhr brav geradeaus weiter, als die Busse und PKW die Autobahn bei Fulda verließen. Und wo der Einsatzleiter im Hubschraubner zu diesem Zeitpunkt war, läßt sich dem der taz vorliegenden „Ablaufkalender“ der hessischen Einsatzleitung in Wiesbaden nicht entnehmen. Erst um 17.15 Uhr „Meldezeit“ steht auf dem „Ablaufkalender“: „Rechte (6 Busse und PKW) Richtung Stadt Fulda abgebogen.“ So richtig aktiv wurde die Polizeiführung im Lagezentrum offenbar erst, als aus dem Regierungspräsidium in Kassel um 17.45 Uhr die Meldung kam, daß „9 Busse und ca. 30 PKW (Linke) aus Göttinger Richtung unterwegs nach Süden/ Kirchheimer Dreieck“ seien. Der 1. Zug PP KS bekam daraufhin den Auftrag, die Linken an Fulda „vorbeizulotsen“. Erst danach hagelte es Verstärkungsangebote für die hessische Polizei: aus Thüringen und Bayern – und zwei Züge standen „hubschrauberverlastet abrufbereit“. Als Teile dieser Einsatzkräfte dann in Fulda eintrafen, war dort schon (fast) alles gelaufen.
Die Fuldaer Polizeiführung hat es inzwischen abgelehnt, die Verantwortung für den unterbliebenen Einsatz gegen die Rechtsextremisten zu übernehmen. Nach Angaben von Polizeichef Hermann Bangert sei der Leiter der Fuldaer Schutzpolizei erst informiert worden, als sich die Faschisten bereits auf dem Domplatz zu Kundgebung gesammelt hatten. Mit ihren Einsatzkräften sei die Schutzpolizei dann nicht in der Lage gewesen, die Heß-Demonstration zu verhindern.
Warum in Fulda nicht umgehend Bundesgrenzschützer aus den Kasernen in Fulda und dem nahen Hünfeld als Verstärkung ausrückten, fragte sich am Montag selbst die Junge Union (JU) in Fulda. Und für die SPD erklärte die Landtagsabgeordnete Silvia Hillenbrand, daß die Bürger der Stadt ein Recht darauf hätten, zu erfahren, warum die „skandalöse Aufführung“ in Fulda nicht habe verhindert werden können. Schwere Vorwürfe an die Adresse der Polzei hat auch der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, geäußert. Schon Stunden vor der Veranstaltung, so Bubis, sei bekannt gewesen, daß rechtsextreme Demonstranten in Richtung Fulda unterwegs gewesen seien. Der Polizei sei es zwar gelungen, eine geplante Gegendemonstration zu verhindern. Doch die habe sich erst formieren können, nachdem die Neonazi-Demonstration bereits feststand. Bubis: „Die Polizei hat also bewußt davon abgesehen, die eigentlich verbotene Demonstration zu verhindern.“ Großen Aufklärungsbedarf sehen deshalb nach wie vor auch die Grünen im hessischen Landtag. Es sei nicht hinzunehmen, so Fritz Hertle (MdL), daß Nazitrupps die Straße beherrschten, wähend der Staat flankierend die Kulisse bilde.
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