Ein Volksfest des freien Rußlands

Am zweiten Jahrestag des August-Putsches feiern die Jelzin-Anhänger sich selbst / Jelzin hält an vorgezogenen Neuwahlen fest / Korruptionsskandal um Ruzkoi  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Die Verleihung der „Orden für die Verteidiger des freien Rußlands“, eine Ausstellung im „Museum der Revolution“ und ein Jahrmarkt, das alles sind nur wenige Punkte des Programms mit dem Moskau gestern und heute den zweiten Jahrestag des August- Putsches begeht. Und natürlich wird es auch an Demonstrationen nicht fehlen, mindestens drei sollen stattfinden. Obwohl Präsident Jelzin vor einer Woche angekündigt hatte, daß er seine Artillerie erst im September in Stellung bringen werde, war bereits am Mittwoch auf der Pressekonferenz der „Zwischeninstitutionellen Kommission zur Bekämpfung von Verbrechen und Korruption“ eine Bombe explodiert. Der zeitlich wohlplazierte Knalleffekt entstand, als Kommissionsmitglied Andrei Makarow, einst Jelzins Advokat im KPdSU-Prozeß, schwere Korruptionsvorwürfe gegen Vizepräsident Alexander Ruzkoi und Generalstaatsanwalt Stepankow und damit gegen den Ankläger im immer wieder vertagten Putschisten-Prozeß erhob. Die Anklagen des Jungjuristen gipfelten in der Feststellung, daß er eine Tonkassette mit einem Gesprächsmitschnitt besäße, auf dem Stepankow Pläne zu seiner – Makarows – physischer Beseitigung erörtere.

Festhalten will Jelzin auch an seinem Plan, den Machtkampf in Rußland mit vorgezogenen Neuwahlen zu beenden. Bei einer Pressekonferenz zum 2. Jahrestag kündigte er an, daß er dem Obersten Sowjet in Kürze einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten werde, den dieser jedoch mit Sicherheit nicht annehmen werde.

Unterdessen bemühten sich PolitikerInnen und LeitartiklerInnen, dem mangelnden Konsensus in der Gesellschaft auf den Grund zu gehen, der bei Anlässen wie den „August-Feierlichkeiten“ immer wieder die Angst vor blutigen Zusammenstößen der rivalisierenden Gruppen aufleben läßt. „Die neuen Machthaber haben die Leute – oh weh! – mit nichts wesentlich anderem beglückt als die alten auch“, schreibt in der Nesawissimaja Gaseta Chefredakteur Vitali Tretjakow. „Indem sie zwei oder drei Probleme lösten, schufen sie ein Dutzend neue.“

Dagegen findet die Parlamentarierin Galina Starowojtowa, daß die zwei oder drei seit dem Putsch gelösten Probleme doch stark ins Gewicht fielen: da stünden zum einen der noch junge, aber vitale Markt und die im Ansatz gelungene Privatisierung von Immobilien und Produktionsmitteln einer Rückkehr zum alten entgegen; zum anderen entstünden jetzt auch auf seiten der Demokraten reale Parteien. Ihnen prophezeit die Ethnologin im Vorfeld der Wahlen ein kräftiges Wachstum. Einig sind sich Tretjakow und Starowojtowa in einem Punkt: das Land krankt nicht nur an mangelnder Rechtssicherheit, sondern an dem prinzipiellen Unwillen der Gerichte, im Sinne der Demokratie zu funktionieren.

Was nun Staatsanwalt Stepankow betrifft, so wirft ihm die „Zwischeninstitutionelle Kommission“ vor, Hinweise auf korruptes Verhalten führender Regierungs- und Parlamentsmitglieder ignoriert zu haben. Justizminister Kalmykow unterstrich dabei besonders die Rolle der Firma „Seabeko“, die eine Schlüsselrolle bei der Ausfuhr der KPdSU-Gelder aus dem Lande gespielt habe. Er nannte sie ein „Monster, dessen drohender Schatten über Rußland hängt und das die wirtschaftliche Kraft unseres Staates untergräbt“. Die Kommissions-Vertreter wiesen darauf hin, daß die wesentlichen Gebäude, in denen Alexander Ruzkois Stiftung „Wiedergeburt“ residiert, zum „Seabeko“-Imperium gehörten. Eine direkte organisatorische Verbindung zwischen „Seabeko“ und „Wiedergeburt“ wurde auf der Pressekonferenz zwar nicht postuliert. Aber zweimal wurde erwähnt, daß ansehnliche Summen aus Rußland auf einem Schweizer Konto gelandet seien, dessen Anmeldung in Kanada die Unterschrift Ruzkois trage.

Witali Tretjakow billigt in seinem Leitartikel dem vor der Öffentlichkeit nun mitangeklagten Generalstaatsanwalt immerhin zu, daß er der einzige gewesen ist, der überhaupt irgend etwas gegen die August-Putschisten unternommen habe. Letztere hatten zu Beginn des Prozesses im Frühsommer übrigens ebenfalls beantragt, die Vertreter der Anklage wegen Voreingenommenheit zu überprüfen. Dazu sah sich das Gericht nicht in der Lage, weil Mitverschwörer Tisjakow unpäßlich und einige Putschisten-Anwälte abwesend waren. Der Prozeß wurde Anfang Juli bis zum 7. September vertagt. Die Chancen stehen nicht schlecht, daß auch dann wieder die Wechseljahre dem einen oder anderen Angeklagten zu schaffen machen.

Die Initiatoren der verschiedenen Pro- und Anti-Putsch-Demonstrationen waren noch am Donnerstag damit beschäftigt, kräftig Stimmung für die eigene Sache zu machen. Am meisten Kopfzerbrechen bereitet der Hauptstadt der Demo-Stundenplan für den heutigen Freitag. Für diesen hat das Bürgermeisteramt optimistisch der rechtsnationalen Rettungsfront den Platz vor dem Weißen Haus bis 18 Uhr zur Verfügung gestellt und den gegnerischen historischen Verteidigern dieses Gebäudes ab 19 Uhr. Die Anhänger der Front haben schon im Mai bewiesen, daß sie mit Stahlruten und Steinen umzugehen wissen. Diesmal werden etwa 50.000 von ihnen erwartet.