: Biedermänner und Brandstifter
Ein Dorf in Brandenburg, ein abgebranntes Asylbewerberheim und ein furchtbarer Verdacht: Haben die Dörfler beim Zündeln mitgeholfen? ■ Aus Dolgenbrodt Michaela Schießl
Die Reste des abgebrannten Asylbewerberheims kokelten noch, als die ersten Gäste in der Dorfkneipe „Kober“ eintrafen. Es gab etwas zu feiern in dem idyllisch am See gelegenen 260-Seelen-Ort Dolgenbrodt, 40 Kilometer südöstlich von Berlin: den Sieg gegen die Politik von oben, die ihnen, den Bürgern, den Wählern, dem Volk, gegen ihren erklärten Willen ein Asylbewerberheim ins wohlig-heimelige Nest setzen wollten.
Heute, knapp zehn Monate nachdem ein Molotowcocktail den Auftakt zum feuchtfröhlichen Anstoßen geliefert hatte, will keiner mehr dabeigewesen sein bei der Siegesfeier an jenem 1. November 1992. Feuerwehrmann Klaus Walzer nicht, Ex-Bürgermeisterin Ute Preißler nicht und auch nicht Hans-Jürgen Schwand, der für die PDS im Hauptausschuß der Gemeinde sitzt. Ein bißchen verlegen sitzt der Frührentner auf der Terrasse seines Häuschen direkt am Wasser. Lang denkt er nach, bevor er sagt: „Ich habe davon gehört, aber hingegangen bin ich nicht.“ Ein Satz, der jedem Dolgenbrodter eingebleut wurde. Alle wissen es, keiner war dabei.
Das Schweigegelübde hängt über Dolgenbrodt wie der Nebel über London. Wäre da nicht die abgebrannte Ruine des ehemaligen Kinderferienlagers „Heinrich Rau“, nichts würde daran erinnern, daß das schmucke kleine Dorf zwischen Seen und Wäldern zwei heiße Herbstwochen lang mehr zu bieten hatte als Ruhe und Erholung. Aber die Geschichte des brennenden Asylbewerberheims in Dolgenbrodt ist nicht die übliche Geschichte eines rechtsradikalen Einzeltäters. Es ist die Geschichte eines Dorfes, das im Verdacht steht, Rechtsradikale beauftragt und bezahlt zu haben, das Heim abzufackeln, einen Tag bevor Asylbewerber einziehen sollten.
„Die sind damit richtiggehend hausieren gegangen“, berichtet der 58jährige Thomas N.* aus einem Nachbardorf. Ihm erzählte damals ein Dolgenbrodter nach dem vierten Bier, daß es eine Geldsammlung gegeben habe, um Skinheads anzuheuern. Mitwisser wie Thomas N. gibt es reichlich, und alle schweigen sie. Zu unmißverständlich ist die Botschaft: Wer auspackt, kann einpacken.
Die ermittelnden Beamten des Potsdamer Staatsschutzes vernahmen die Botschaft auch, allein es fehlte der Glaube und der zusätzliche Kollege. So waren die Vorwürfe schon fast vergessen, als am 17. Mai 1993 der 19jährige Silvio J. aus dem nahen Königs Wusterhausen verhaftet wurde. Er hatte sich dort in einer einschlägigen Skinhead-Kneipe der Tat gerühmt, einschließlich der Bezahlung. Tatsächlich waren er und sein weißer Golf GTI beim Dolgenbrodter Asylbewerberheim gesehen worden. Indizien, die auf ein altbekanntes Muster hoffen ließen: da war er wieder, der Einzeltäter, der brandschatzende Chaot, der fehlgeleitete Youngster aus verkorkster Familie. Und besoffen war er bestimmt auch.
Doch Silvio J. fällt aus der Rolle. Gegenüber der Potsdamer Staatsanwaltschaft bestreitet er die Tat. Nur aus Geltungssucht habe er sich als Täter ausgegeben, sagte das Ex- Mitglied der verbotenen „Nationalen Front“. Er wisse jedoch, daß aus dem Dorf „finanzielle und logistische Unterstützung erfolgt“ sei. Nach Recherchen der taz waren 2.000 Mark geboten worden. Informationen, die offenbar auch der Staatsanwaltschaft vorliegen. Pressesprecher Junker bestätigt, daß die Staatsanwaltschaft in Richtung Anstiftung ermittelt.
Eine solche Ungeheuerlichkeit kann Frau Schwand in ihren Aufzeichnungen nicht finden. Akribisch hat sie alle offiziellen Stationen des Widerstands notiert, wegen der Dorfchronik, die sie schreiben will: Besichtigung des Objekts durch eine Abordnung aus Königs Wusterhausen am 21.10., Gründung der Bürgerinitiative und Unterschriftensammlung am 22., Schreiben an das Landratsamt und Einwohnerversammlung am 23. Am 28. Protest vor dem Landratsamt, abends zweite Einwohnerversammlung. Der Kampf gegen die Politiker war zu diesem Zeitpunkt schon verloren. Frau Schwands nächste Notiz datiert vier Tage später: 1. November, 2.30 Uhr: Brand im Kinderferienlager.
Was in den vier Tagen zwischen Versammlung und Brand geschah, ist genausowenig geeignet fürs herzige Geschichtsalbum wie das Vorangegangene. Gnädig wird der Nachwelt etwa die Deutlichkeit vorenthalten, mit der Bürgerinitiativler Gerd Graefen die 150 Anwesenden im brechend vollen Wirtshaus einschwor. „Asylanten sind durchweg als Kriminelle zu betrachten“, schmetterte der Mann, der gleich nach der Wende die Reichskriegsflagge hißte. „Wer sich an unserem Eigentum vergreift, dem geht es selber an den Kragen.“ Heute will der leicht erregbare Elektriker das nicht mehr so gemeint haben. „Das sagt man halt in der Aufregung.“ Und man sagt noch viel mehr. Von Abwehrmaßnahmen und zivilem Ungehorsam war die Rede, ein Einwohner erbot sich, seinen Trabi vollgetankt vor dem Heim anzuzünden, Straßensperren sollten die Ausländer-Busse blockieren. „Muß es erst zu einem zweiten Rostock kommen?“ hieß es in einem Protestschreiben an den Königs Wusterhausener Vize-Landrat Dr. Helmut Munkow. „Wir wollen das alles nicht und werden uns mit allen Kräften dagegen wehren.“
Das Dolgenbrodter Kampfthema, mit dem die Bürger gegen Politiker antraten, hieß: Sicherheit. „Sie ist nicht zu gewährleisten“, wußte Ute Preißler. Nur eine Stichstraße führt ins Dorf. Was, wenn die blockiert ist? Keine Polizei, kein Nahverkehr, nur eine Telefonzelle und damals noch nicht einmal einen Einkaufsladen. „Was sollen die Ausländer denn tun den lieben langen Tag? Na klar: einbrechen, zerstören, Hühner klauen, den Kindern auflauern. Mit Ausländerfeindlichkeit hat das nichts zu tun: „Wenn wir Rußlanddeutsche gekriegt hätten oder echte Flüchtlinge aus Bosnien, denen hätten wir sogar noch geholfen. Aber nicht den Zigeunern“, sagt Graefen. Was er nicht sagt: Wären die „Zigeuner“ gekommen, so wären seine Grundstücke im Wert gesunken. Und die will er schließlich teuer verkaufen. Auch potentielle Investoren hätten sich verzogen, ausgerechnet jetzt, wo Dolgenbrodt aufschwungmäßig endlich „mal richtig kann, richtig will“ (Schwand). Was wäre aus dem Reiterhof geworden? Der Reha- Klinik? Der Kanalisation? Und dem Hotelbetrieb, den die „Tante Anna GmbH“ aus ebenjenem Gebäude machen wollte, in dem nun die Asylbewerber untergebracht werden?
Das mit dem Heim ist kein Problem, befand Udo Feser, der für die Treuhand das Objekt liquidieren soll. Da noch Rückführungsansprüche bestanden, gab er nach Absprache mit dem Investor (der später aus Kapitalmangel zurückzog) das Gebäude für ein halbes Jahr frei. Dann sollten die Asylbewerber ohnehin nach Brand bei Lübben wechseln. „Ich kann nicht einsehen, daß das Tourismusgeschäft gestört wird, mitten in Winter“, verschloß sich Feser der dörflichen Argumentation. Und fing sich prompt eine Drohung ein. Persönliche Konsequenzen werde er spüren: Wir können auch anders.
Die wilde Entschlossenheit der Dolgenbrodter wurde nur noch übertroffen von ihrer trotzigen Überzeugung, im Recht zu sein. Viel zu lange schon hatte man sich gängeln lassen, ohnmächtig zugesehen, wie sich die Günstlinge des DDR-Systems Datschen auf die besten Bauplätze gestellt haben. Nun, unter der neuen Herrschaft, soll ihr Glück erneut gefährdet werden? Niemals, sagten sie sich. Und einige beschlossen, in die Zukunft zu investieren.
Was so teuer gar nicht war, schließlich konnte man mit echter Nachbarschaftshilfe rechnen. In Mitbürger Marko Schmidt hatte BI-Sprecher Graefen eine echte Stütze. „Schmidt ist Skinhead“, sagt Ute Preißler, „man kann von Verbindungen ausgehen.“ Und zwar von guten: Der Zwanzigjährige gilt in Königs Wusterhausen als „Fascho-Führer“ mit Wehrsportgruppe. „Seit der beim Bund ist, ist die Ballerei weniger geworden“, entsinnt sich Schwand.
Schmidts Verbindungen jedoch haben sich verbessert. Vor einigen Wochen fand auf dem Gelände seines Vaters Wolfgang Wendland in Prieros ein Skinhead-Konzert statt. Offizieller Titel: Geburtstagsfete von Sohn Marko. Tausend Gratulanten waren erschienen, zum Teil mit gewienerten Stiefeln und SS-Uniformen. Freunde, auf die Verlaß ist im Fall der Fälle.
Wachschutzchef Gerd Krüger, vom Landrat beauftragt, das Asylbewerberheim zu schützen, roch den Braten als erster. „Ich hatte von Anfang an das ungute Gefühl, daß die Dorfbevölkerung uns ausspioniert“, sagt er. Auffällig oft kamen dieselben Leute vorbei, reparierten Trabis in Sichtweite. Zwei Tage vor dem Brand fielen den Wachleuten Männer in Kampfmontur auf Motorrädern auf.
In der Brandnacht, kurz vor halb drei, hörten die Wachleute wieder Motorenlärm: Krafträder und ein unbeleuchtetes Auto. Ein Wachmann verfolgte die Störer. Währenddessen stiegen die Brandstifter – die Polizei geht von drei Personen aus – über den Zaun. Ein Molotowcocktail flog, Flammen loderten. Zwanzig Sekunden später gab der zweite Wachmann Alarm. Die Feuerwache ist zweihundert Meter vom Ferienheim entfernt, doch erst nach 40 Minuten begannen die Löscharbeiten. Dann verhedderten sich die Helfer im Natodraht. „Das war eine echte Falle. Da wäre im Ernstfall keiner rausgekommen“, urteilt Krüger.
„Sehen Sie, deshalb hat man eben vorher gehandelt“, erklärt ein euphorischer Dolgenbrodter in der Brandnacht dem Reporter der Berliner Zeitung: „Wenn wir ausländerfeindlich wären, hätten die Täter noch eine Woche gewartet, bis das Heim voll ist.“ Ein Satz wie ein Schlag in die Magengrube. Krüger übersetzt: „Wenn das von Rechtsradikalen ausgegangen wäre, hätten die gewartet, bis Leute drinnen sind.“ Der Tod als einziges Kriterium für Biedermanns Selbstjustiz? In Dolgenbrodt ja. „Hauptsache, kein Mensch ist zu Schaden gekommen“, sagt Ute Preißler und atmet auf. „Ist ja nix passiert“, sagt Gastwirt Kober störrisch. „Gott sei Dank war ja niemand drin“, sagt Walzer erleichtert, „nicht schön, aber wenigstens keine Toten“, sagt Schwand und zeigt ein leichtes Lächeln um die Mundwinkel. Und Graefen sagt: „Niemand will Terror, aber den Herrschenden fehlt eben der politische Verstand. So was wie Hoyerswerda ist dann die logische Reaktion.“
Solcherlei Logik meidet Ute Preißler wie der Vampir das Kruzifix. „Keiner war traurig über die Lösung, aber bestellt hat das niemand.“ Hans-Jürgen Schwand ist sich inzwischen gar nicht mehr so sicher. „Es ist nicht auszuschließen, daß jemand gespendet hat. Vielleicht die reichen Berliner.“ Klaus Walzer hält eine Auftragsarbeit geradezu für wahrscheinlich. „Ich kann mir vorstellen, daß die Idee aus dem Dorf kommt, nicht aber die Ausführung.“ Doch soll er seine Heimat deshalb verlassen?
„Hass“ hatten die Brandstifter an die Grundmauern des Heims gesprayt. Doch um Haß geht es den Dörflern nicht, es geht um Recht. Um das Recht auf Recht und Ordnung. „Es ist eine Schande, daß Deutsche erst ihre Häuser anstecken müssen, um auf einen Notstand aufmerkam zu machen.“ Helmut Grimm heißt der Mann, der die Volksstimmung so brillant in Worte faßte.
Dolgenbrodter Vernunft hat ihre eigene Logik. Vernunft ist, was die Bürger wollen. Vernunft sind ihre Argumente. Sträfliche Unvernunft, nicht darauf zu hören. Der Gipfel an Unvernunft ist, ein Asylbewerberheim in ihr Dorf zu holen. Und gegen Unvernunft muß man sich wehren, basta. Ganz einfach ist es schließlich, und ganz ungefährlich. Nicht einmal von seinem Lieblingsstoff mußte sich Armin Schulz trennen nach dem Anschlag. Etwas zerfleddert weht sie im Wind, wie eh und je, 50 Meter von der Ruine entfernt: die Reichskriegsflagge. Dolgenbrodt hat nichts zu verbergen.
* Name von der Red. geändert
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