: Osttarif lockt DGB
■ Das gewerkschaftseigene Berufsfortbildungswerk will seine West-Zentrale schließen / Gestern demonstrierten Mitarbeiter
Für einen kurzen Augenblick ist die Welt von Edgar Schramm, dem Bundesgeschäftsführer des gewerkschaftseigenen Berufsfortbildungswerkes (bfw), aus den Angeln gehoben. Als wäre er selbst kein Gewerkschaftsmitglied mehr, sondern der böse Kapitalist schlechthin, steht er an diesem Dienstag mittag verloren unter rund vierzig wütenden bfw-Mitarbeitern. „Das ist doch kein Umgang“, ruft ihm eine Frau vor der Eingangshalle des Hotels „Novotel“ in Tegel zu, wo er wenig später mit dem Betriebsrat vor der Einigungsstelle über einen Sozialplan verhandeln wird. Aus der Zeitung habe sie von den beabsichtigten Kündigungen erfahren. Als schließlich ein Mann schreit, er habe „immer gedacht, daß eine Gewerkschaft ihre Mitarbeiter anders behandelt“, verschwindet Schramm entnervt im Gebäude.
Zusammen mit seinem Kollegen Hanshorst Viehof – ebenfalls Geschäftsführer in der Düsseldorfer bfw-Zentrale – ist er seit Wochen der Buhmann für die Berliner Mitarbeiter des Bildungswerkes. Denn ungeachtet der Proteste von seiten der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, des DGB Berlin-Brandenburg oder der Arbeitssenatorin, hält die Zentrale daran fest, bis zum Ende dieses Jahres die Westberliner bfw- Einrichtung zu schließen.
Von den 133 festangestellten Mitarbeitern sollen, so Schramm gestern zur taz, rund 60 entlassen werden. Die verbleibenden West- Beschäftigten wolle man in der bfw-Tochtergesellschaft im Ostteil der Stadt unterbringen. Das empört die Westberliner Betriebsgruppe: Im Osten herrschten bekanntlich schlechtere Tarifbedingungen. Die bfw-Geschäftsführung nutze die Rezession, um den Westlern im Osten Billiglöhne zuzumuten, mache sich so zum Vorreiter der „bundesweiten Tarifdemontage“. Auch würden die Beschäftigten mit unklaren Angaben hingehalten. Ein Mitarbeiter mutmaßt gar, die unsichere Lage sei gewollt, um möglichst viele bfw- Mitarbeiter zur Kündigung zu bewegen. Schramm hingegen sieht kaum noch Spielräume, um das Westberliner Berufsfortbildungswerk zu halten. In diesem Jahr werde man im Westteil der Stadt 3,5 Millionen Mark Verluste machen. Auch in der Ost-bfw müßten aufgrund der rückläufigen Aufträge – ein Großteil der bfw-Umschulungsmaßnahmen liefen über die Arbeitsämter – rund 40 von 100 Mitarbeitern entlassen werden. Vor dem Gang in die Verhandlungen der Einigungsstelle ließ er gestern eine mögliche Option durchsickern. Für den Teil der West-Beschäftigten, die künftig im Osten arbeiten sollen, könne man sich eine „Besitzstandsregelung“, befristet auf ein Jahr, vorstellen. Severin Weiland
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