piwik no script img

Würgereiz beim Strandbesuch

In Hongkong werden Abwässer ungeklärt ins Meer geleitet / Über 30prozentiges Verkehrswachstum / Immer neue Umweltgruppen  ■ Aus Hongkong Werner Meißner

Noch vor kurzem kroch der Hummer am Meeresgrund unweit von Hongkongs Badestränden – jetzt versetzt er einen französischen Fischspezialisten in Erregung. Doch weder Baden noch Essen sind in Hongkong ungefährlich. Obwohl die Anzeigentafeln an den Buchten mit dem feinen Sand fast stets gute oder sehr gute Wasserqualität signalisieren, ist es schon dem Augenschein nach eine unappetitliche Brühe. Plastiktüten in allen Farben, mit und ohne Inhalt, Speisereste und undefinierbare Überbleibsel der Zivilisation treiben herum und lassen Badelust erst gar nicht aufkommen. Wenn der Wind ungünstig steht, werden viele Strandbesucher schon nach kurzem Aufenthalt von einem Würgereiz gepeinigt. Wie gut für die betuchten TouristInnen und Geschäftsleute, daß es in den Luxushotels künstliche Schwimmparadiese gibt, wo kristallklares Wasser durch täuschend echt wirkende Steingärten aus Plastik sprudelt und von Gebirgsvorsprüngen in blaugekachelte Pools stürzt.

Jenseits dieser künstlichen Paradiese aber fließen mehr als zwei Millionen Tonnen Kloake Tag für Tag ins Meer – das sind etwa 1.000 Olympia-Schwimmbäder voll. Kläranlagen sind in Hongkong unbekannt, und auch die Industrie leitet ihre Abfälle ohne gesetzliche Schranken ein. Hinzu kommen die Abfälle von Tausenden von Schiffen, die zwischen den Inseln hindurchfahren. Fast sinnlos wirkt da das „Pollution Control Boot“ von der Größe eines Lotsenschiffes, das mit einem Wasserstrahl versucht, einen Ölteppich aufzulösen.

Das „Environmental Protection Department“ (EPD) schätzt, daß 100.000 Tonnen chemischer Abfälle jährlich über das Abwassersystem in den Hafen „entsorgt“ werden. Neulich veröffentlichten Zeitungen Farbfotos von blutigen OP- Resten aus Krankenhäusern, die ebenfalls über die Kanalisation gleich ins Meer eingeleitet werden. Mittlerweile sehen sich ganze Fischfarmen auf der Insel Lamma durch die Abwässer in ihrer Existenz gefährdet.

Die Regierung glaubt, das Abwasserproblem auf einfache Weise lösen zu können: wegkippen wie bisher, nur eben etwas weiter entfernt. Zwei Millionen Tonnen Abwässer Hongkongs sollen in 150 Meter tiefen Tunnels gesammelt und über eine Pipeline dreißig Kilometer weiter südlich in das Südchinesische Meer gepumpt werden. Die Natur wird schon den Rest erledigen, glaubt man offenbar. Schon 1990 sollten die Arbeiten beginnen und 1998 fertiggestellt sein. Die Kosten wurden 1989 auf drei bis vier Milliarden DM veranschlagt. Aber das Projekt wurde erst einmal auf Eis gelegt, weil der neue Flughafen Chep Lap Kok, der 25 Milliarden Dollar kosten soll, wichtiger erschien – und beides auf einmal nicht finanzierbar ist. Ob das Tunnelsystem jemals gebaut wird, ist ungewiß, zumal Hongkong inzwischen für alle Großprojekte die Zustimmung Pekings braucht.

Aber nicht nur das Wasser, auch die Luft in Hongkong ist ein Desaster. In den Distrikten mit der höchsten Belastung wie zum Beispiel Kowloon, Central, Wanchai und Pokfulam ist Nasenkrebs inzwischen die häufigste Krebserkrankung. Abgaskontrollen, Filter oder Katalysatoren sind bisher noch nicht bekannt. Nach Angaben des EPD wird die Luftverschmutzung, auch wenn sehr große Anstrengungen gemacht werden, bis zum Jahre 2000 um dreißig bis vierzig Prozent zunehmen. Nach konservativen Schätzungen wird es dann nicht mehr „nur“ 350.000 Autos, Lkw und Motorräder in Hongkong geben, sondern etwa 610.000.

Ungesund ist häufig auch der Genuß von knackigem Gemüse, das größtenteils aus Südchina kommt. Dort werden noch Pestizide verwendet, die bei uns längst verboten sind. Hin und wieder wird Gemüse lastwagenweise weggekippt, weil die Rückstände an Pestiziden so hoch waren, daß viele, die es verzehrten, in Krankenhäuser eingeliefert werden mußten.

Hongkongs Prinzip ist höchste Rationalität bei ungebremster Verschwendung natürlicher Ressourcen. 10 bis 15 Millionen Klimaanlagen mit FCKW machen Hongkong zu einer riesigen kalten Luftblase mitten in den Subtropen. Je mehr gekühlt wird, desto schneller wird sich das Klima weltweit erwärmen – einer von vielen Widersprüchen in dieser Stadt. Und nirgendwo sonst schießt so viel Wasser in die großen Toilettenbecken, nirgendwo gibt es so viele Swimmingpools, nirgendwo fahren so viele Luxuslimousinen auf kleinem Raum mit so vielen PS, die niemals genutzt werden können, wie in Hongkong.

Seitdem in Südchina, wie manche westlichen Medien euphorisch verkünden, die größte Industrialisierung aller Zeiten eingesetzt hat, erhält Hongkong zusätzlich den Dreck aus Südchina. Im Perlfuß, dem viertgrößten Fluß Chinas, kann schon seit langem nicht mehr gebadet werden. Mehr als 700 Millionen Tonnen Abwasser und Abfälle werden jährlich von den Fabriken und Anwohnern eingeleitet – bei steigender Tendenz. Zwar plant die Provinzregierung ein Klärwerk für 600.000 Tonnen pro Tag, doch ehe dieses zu arbeiten anfängt, wird sich bei dem schnellen Wirtschaftswachstum die täglich zu bewältigende Menge auf vier Millionen Tonnen verdoppelt haben. Hongkong liegt an der Mündung des Perlflusses, so daß alle Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität rund um Hongkong, sollten sie denn jemals ergriffen werden, durch die Einleitungen in die Flüsse Südchinas wieder aufgehoben würden.

Chinas wichtigste Energiequelle ist zudem stark schwefelhaltige Kohle. Ihr Verbrauch hat in den achtziger Jahren um die 70 Prozent zugenommen und deckt heute bis zu 80 Prozent des Bedarfs. Eine der Umwelt gemäße Industrialisierung ist in Südchina nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Im Gegenteil: Alles, was in Taiwan oder Hongkong schon verboten ist – und das ist nicht viel –, ist hier noch erlaubt. Auch aus diesen Gründen wird die Produktion aus Taiwan und Hongkong nach Südchina verlegt. Bei manchen Hongkonger Wertpapieren mit Anlageschwerpunkt China liegen die Netto-Renditen bei bis zu 50 Prozent im Jahr – die Kosten zahlen die Menschen vor Ort und die Umwelt.

In den sechziger Jahren gab es in Hongkong erst eine kleine Umweltgruppe. Seit Ende der achtziger Jahren schießen die grünen Initiativen aber wie Pilze aus dem Boden. Etwa 20.000 Mitglieder zählen derzeit die Gruppen inzwischen. Das sind etwa 0,4 Prozent der Bevölkerung, und die aktivsten Mitglieder sind die in Hongkong lebenden Ausländer, die „Expatriats“, aber sie üben deutlich zunehmenden Druck auf die Behörden aus. Und sie werden sich auch auf Südchina ausdehnen, spätestens 1997, wenn Hongkong an China zurückgegeben wird.

Hongkong kommt, trotz der eigenen Defizite, auch in umweltpolitischer Hinsicht für China eine Pilotfunktion zu. Die Regierung in Peking wird nach 1997 mit den grünen Organisationen ähnliche Schwierigkeiten haben wie mit den politisch liberalen Gruppierungen. Diese werden sich dann nicht mehr unterdrücken lassen, weder in Hongkong noch auf dem Festland – und das nicht nur, weil ihnen das Wasser bis zum Halse steht, sondern auch, weil sich das Wasser nicht mehr trinken läßt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen