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"Wir können die Leute ärgern"

■ Gesichter der Großstadt: Klaus Bittermann greift mit seinem Ein-Mann-Verlag in die öffentliche Debatte der Bundesrepublik ein / Kleine Auflage, große Wirkung

Sieht so ein teuflischer Verleger aus? Da sitzt ein schmächtiger Klaus Bittermann in seiner Kreuzberger Wohnung, redet bedächtig und zurückhaltend, fast ein wenig schüchtern. Nein, das ist nicht jener Bittermann, der in der Essayreihe „Critica Diabolis“ seines Tiamat-Verlages wie eine sprachliche Dampfwalze daherkommt und über die Ostdeutschen schreibt, sie seien „äußerst unangenehme Zeitgenossen, die auf bisher unbekannte Weise Selbstmitleid und Barbarei als wirksame und erpreserische Waffe“ einsetzten. Ein Satz, der in einem der erfolgreichsten Tiamat-Bücher der letzten Jahre steht und das die Feuilletons in diesem Frühjahr mächtig aufwirbelte. Selbst die ARD-„Tagesthemen“ präsentierten den Band „Der rasende Mob“, in dem Autoren wie Henryk M. Broder, Gabriele Goettle, Wiglaf Droste und natürlich Bittermann die ostdeutsche Seelenlandschaft auseinandernahmen. Über die wütenden Reaktionen kann sich Bittermann, der selbst „kaum Ossis kennt“, noch immer diebisch freuen. Etwa die Replik des ehemaligen DDR- Bürgerrechtlers Jens Reich in der Wochenpost, der das Buch am liebsten in hohem Bogen in den Papierkorb geworfen hätte. Diese „beleidigte Haltung“ finde er „eine ganz gute Reaktion“ auf das „bewußt ungerechte und gemeine Buch“. Nur so, sagt Bittermann, könne man die Menschen zum Denken anregen. Über Politik redet Bittermann weit lieber als über Privates. Bruchstücke läßt sich der heute 41jährige immerhin entlocken: daß er wegen einer Schülerzeitung Ende der sechziger Jahre vom Gymnasium seiner Geburtsstadt Kulmbach flog, sich anschließend in Nürnberg in der „Roten Hilfe“ engagierte und nach internen Zwistigkeiten mit Gefährten die „Schwarze Hilfe“ gründete, an der Uni Erlangen Philosophie, Politik und Soziologie studierte und Anfang der Achtziger nach Berlin wechselte. Und daß er nebenbei Krimis unter einem Pseudonym und Literaturkritiken schreibt. Für wen? Darüber schweigt Bittermann geflissentlich.

Es sind wahrlich nicht viele, die sich durch die Bücher des Ein- Mann-Verlages, der seit 1978 existiert, provozieren lassen. Erfolg ist für Bittermann ein relativer Begriff. Zwar sind viele Bücher sogar bei der FAZ oder SZ wohlgelitten. Doch wenn dreitausend Exemplare verkauft worden sind, darf sich Bittermann glücklich schätzen. Trotzdem: Selbst für eintausend Leser „bringe ich ein Buch heraus, wenn es gut ist und mir gefällt“. Autoren wie Robert Kurz, Gerhard Henschel, Eike Geisel oder Roger Willemsen bieten seit Jahren Gewähr für ätzende, beißende Kritik. Einige hat Bittermann über den Konkret-Schreiber Wolfgang Pohrt kennengelernt, dessen Band „Kreisverkehr, Wendepunkt“ er 1984 herausgab. Damals, so erzählt Bittermann, habe Pohrt einige Probleme mit dem Rotbuch-Verlag gehabt – da habe er angefragt und zugegriffen. Ein Glücksfall, wie sich heute zeigt. Denn mit Pohrt begann, mehr oder weniger, der bescheidene Erfolg der Reihe „Critica Diabolis“. Wer in die Welt der Diaboliker eintaucht, der braucht eine gute Portion Zynismus, um unbeschadet zu bleiben. Da wird die Wirklichkeit in all ihrer Plattheit, Dummheit und Geschwätzigkeit aufs allerbeste seziert – zurück bleibt ein Leser, dem sich zwei Auswege eröffnen: als Trost das nächste Tiamat- Buch zu kaufen oder sogleich den Strick über den nächstbesten Baum zu werfen. Keiner wird verschont. Wer Fronten sucht, wird sie hier so leicht nicht finden. So rechnete Bittermann nach dem Golf- Krieg in einem Essayband mit den „edlen Seelen der Friedensbewegung“ ab. „Als ein Teil der Bewegung Israels Vernichtung billigend in Kauf nahm, war der Punkt erreicht, an dem man eindeutig Stellung nehmen mußte.“ Die Selbstbeschränkung des Geistes, auch des linken, das sind Dinge, die Bittermann nicht ausstehen mag. Ein konservativer Publizist wie Karl- Heinz Bohrer habe zu Zeiten des Golf-Krieges durchaus „schlaue Dinge geschrieben“. Ob er glaubt, mit seinen Büchern Aufklärung betreiben zu können? Nein, sagt Bittermann: „Aufklärung scheitert am spießigen Bewußtsein. Wir können die Leute mit unseren Büchern nur ärgern.“ Keine schlechte Aufgabe, in diesen Zeiten. Severin Weiland

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