: Subtiler Vergleich
■ betr.: „Wenn Türken in Deutsch land die Rechte der Kurden in der Türkei hätten“, taz vom 12.8.93
Wenn man in Abwandlung dieses Ausspruches sagen könnte: „Wenn die Kurden in der Türkei die Rechte der Türken in Deutschland hätten“, dann könnten in der Gesellschaft für bedrohte Völker die Kollegen der Referate „Flüchtlinge“ und „Nahost“ getrost ihre Akten zu „Türkisch-Kurdistan“ schließen.
Nehmen wir das Recht unserer türkischen Mitbürger, zwischen einer Vielzahl türkischer Tageszeitungen wählen zu können. Zeitungen von rechts bis links, die nicht immer das Positive von den Deutschen und der deutschen Regierung berichten und die hier, Gott sei Dank, im Gegensatz zu den kurdischen Publikationen in der Türkei ungehindert erscheinen können. [...]
Wenn die Kurden vom Beginn der Republik Türkei an, seit 1923, oder wenigstens scheibchenweise in den folgenden Jahrzehnten die gleichen kulturellen und sprachlichen Rechte (man denke auch an den türkischen Sprachunterricht hier und das Verbot in Türkisch- Kurdistan, die dortige Muttersprache Kurdisch zu unterrichten) wie heute die Türken in Deutschland genossen hätten, gäbe es heute kein Kurdenproblem. [...]
Wo, Herr Öymen, gibt es denn den „kurdischen“ Kulturverein, das „Kürdevi“, in Istanbul, in Izmir, in Adana und anderen Städten des Westens, das ohne Angst vor Verbot, Drohung und Untersuchung kulturelle Aktionen durchführen kann für diejenigen, die sich bewußt zur kurdischen Volksgruppe innerhalb der Republik Türkei zahlen? Wo gibt es im Westen oder Osten der Türkei einen Sportverein, der in seinem Namen den Begriff „kurdisch“ führen dürfte?
[...] Altan Öymens Argument, es sei zu schwierig, herauszufinden, wer Kurde sei: „Wer bestimmt, wer Kurde ist?“ ist ebenso wenig schlagkräftig wie der Einwand, ein großer Teil der Kurden lebe in Istanbul oder Izmir. Wenn alle Türken einen deutschen Paß haben, wer bestimmt dann, wer zur türkischen Volksgruppe gehört? Jedes Individuum für sich selbst!
[...] Wie Türken in Bulgarien sich als Türken und nicht als Bulgaren fühlen, Turkmenen im Irak als Turkmenen und nicht als arabische Iraker, und Bosnier als Bosnier und nicht als Serben, ohne daß irgendeine Instanz darüber zu bestimmen hätte, so wollen die Kurden sich in ihrer Jahrtausende alten Heimat Kurdistan sprachlich und kulturell als Kurden begreifen und eben nicht als Türken. Das ist ihr Menschenrecht. [...] Irina Wießner, Referat Nahost,
Gesellschaft für bedrohte
Völker, Göttingen
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