: Arafats Koffer auf dem Weg nach Jericho
■ Autonomiestatus von Jericho und Gaza-Streifen wird jetzt offiziell verhandelt
Jerusalem/Berlin (taz/AFP/AP) – Die nächsten Tage könnten für die Zukunft der Palästinenser wegweisend werden. Heute abend treffen sich in Washington Delegationen Israels, der Palästinenser, Syriens, Jordaniens und Libanons zum Auftakt der 11. Nahost-Friedensgespräche. Den wichtigsten Tagesordnungspunkt bildet die Frage einer Autonomie des Gaza-Streifens und der in der Westbank gelegenen Stadt Jericho. Die israelische Regierung und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) einigten sich in den letzten Wochen in Geheimgesprächen auf drei Dokumente, die den Autonomiestatus der beiden Regionen regeln. Die Abkommen sollen bereits unterschriftsreif sein und in Washington auf den Tisch gelegt werden. In der Präambel der Vereinbarungen erkennen Israelis und Palästinenser gegenseitig ihre „legitimen und politischen Rechte“ an. Der Gaza-Streifen soll laut dem Abkommen Anfang 1994 von einer palästinensischen Administration verwaltet werden, für Jericho wird noch kein Zeitpunkt genannt. Nach fünf Jahren einer Teilautonomie soll in neuen Verhandlungen über die Zukunft weiterer Gebiete gesprochen werden.
Die Wortwahl der Erklärungen aus Kreisen der PLO und der israelischen Regierung zu dem Abkommen ist so unterschiedlich, daß Zweifel an der Substanz der Einigung aufkommen. Die PLO spricht von einer „Gaza und Jericho zuerst“-Lösung, die eine Vorstufe zu einem palästinensischen Staat in allen besetzten Gebieten bilde. Die israelische Regierung will dagegen weiterhin in allen der jetzt von ihr kontrollierten Territorien die machtausübende Staatsgewalt sein.
Der israelische Außenminister Schimon Peres mußte gestern abend in einer stürmischen Parlamentsdebatte die Autonomiepläne gegen Angriffe der rechten Oppositionsparteien verteidigen. Der Führer des konservativen Likud-Blocks, Benjamin Netanjahu, warf der Regierung Rabin „Hochverrat“ vor und forderte Neuwahlen. Ein Sprecher der rechtsextremen „Kach“-Bewegung hatte zuvor vor einem „Krieg“ seiner Organisation gegen die geplante Vereinbarung gewarnt. Anhänger der „Kach“ nahestehenden Organisation „Dov“ hatten in der Nacht auf Montag eine Granate auf das Haus des israelischen Innenministers abgefeuert, die allerdings keinen Schaden anrichtete.
PLO-Führer Arafat befürwortet die Regelung und machte die Angelegenheit zur persönlichen Chefsache. Zahlreiche palästinensische Organisationen in den besetzten Gebieten, darunter die islamistische Hamas-Bewegung, lehnen die Regelung jedoch ab. Für heute haben sie zum Generalstreik aufgerufen. Hauptkritikpunkt der Palästinenser ist, daß das Abkommen zwischen PLO und israelischer Regierung die Frage der östlichen Hälfte von Jerusalem ausdrücklich ausklammert. Der Leiter der palästinensischen Verhandlungsdelegation in Washington, Haidar Abdel Schafi, erklärte gestern: „Wir verkaufen Jerusalem nicht gegen Gaza.“ Der israelische Ministerpräsident Rabin sagte, ein künftiger palästinensischer Autonomierat soll seinen Sitz in Jericho haben. Die Bemerkung nährt palästinensiche Befürchtungen, Rabin und Arafat hätten insgeheim die Kleinstadt zum künftigen palästinensischen Regierungssitz erkoren. Bisher hatten alle Palästinensergruppen einhellig Jerusalem als Hauptstadt gefordert. Tagesthema Seite 3
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