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Ein letzter Kredit für die Stadt

■ Zähneknirschend setzt das Jugendtheater trotz unveränderter Bedingungen seine Arbeit fort

Als „meine größte Niederlage seit 14 Jahren“ bezeichnete gestern ein sichtlich zermürbter Jürgen Zielinski den Stand der Dinge beim Jugendtheater auf Kampnagel (JAK). Bei der Vorstellung der nächsten Spielzeit resümierte der JAK-Chef die Ereignisse seit Bekanntwerden der Haushaltsentscheidung am 2. Juli dieses Jahres, auf die er unmittelbar mit Rücktrittsüberlegungen reagiert hatte. Auch jetzt noch bezeichnete Zielinski die Bewilligung von 1,5 Millionen Mark als „fahrlässige und höchst peinliche Entscheidung“ und betonte, daß man sich nur zähneknirschend und auf Bitten der Kulturbehörde auf eine letzte Übergangslösung bis Ende '94 eingelassen hätte.

Der vom JAK eingereichte Kostenplan, auch von der Kulturbehörde als absolut realistisch eingeschätzt, hatte 1,8 Mio Mark Betriebskosten plus ein Investitionsbudget für Probebühnen und technische Installationen von 750.000 Mark vorgesehen. Wie bescheiden dieser Etat tatsächlich ist, zeigen Vergleichszahlen. So erhält beispielsweise das Theater der Jugend in München 4,09 Mio Mark, das Berliner caroussel-Theater 10,4 Mio Mark und das Thalia-Juendtheater in Halle 6,22 Mio Mark Subventionen.

Den „Sudden death“ ereilt das JAK, wenn sich bewahrheitet, was Kampnagel-Geschäftsführer Jack Kurfeß in einer schriftlichen Stellungnahme ankündigte. Ab 1.1.1994 müsse das JAK 180.000 Mark Betriebskosten an Kampnagel zahlen und zudem seine technischen Belange selber lösen, da Kampnagel nicht mehr fähig sei, das JAK zu subventionieren. Damit hätte das Jugendtheater weniger Geld als zuvor. Auch Kurfeß weist wie Zielinski auf die fatale Entscheidung hin, dem JAK die Selbstständigkeit zu verweigern und es auf dem „Kulturabladeplatz Kampnagel“ (Zielinski) zu werfen. Kurfeß Schlußsatz: „Eine Verlängerung des Projektes über die Spielzeit 93/94 hinaus, zu den jetzigen Bedingungen ist undenkbar.“

Knut Nevermann, Staatsrat in der Kulturbehörde, hofft trotzdem, daß sich die Situation auf dem Gesprächswege und mit praktischer Unterstützung über diese Hürden bringen läßt. Naturalien aus dem Operettenhaus, das ja an die Stella-Gruppe verkauft wird, sowie der Versuch über die Kulturstiftung weitere Mittel zu bekommen, sollen das Schlimmste lindern. Nevermann, der deutlich sagt, daß „das Experiment JAK viel besser gelaufen ist, als wir uns das jemals vorgestellt hätten“ und Jürgen Zielinski als einen „Glücksfall“ bezeichnet, an dem sein „Herzblut hängt“, sieht dennoch vor den nächsten Haushaltsberatungen keine Chance, den Etat des JAK deutlich nach oben zu korrigieren.

Bis dahin wird das Theater mit drei Wiederaufnahmen und drei bis vier Neuproduktionen seinen hohen Standard fortzuführen versuchen. Nach den Wiederaufnahmen von Hush (ab morgen) und Abwege (ab 5. Oktober) wird die Choreografin Vivien Newport gemeinsam mit dem Autor Jörg Richard ein „Schauspiel in Bewegung“ Mein Kind! Ein Brandstifter! inszenieren (9. November). Stanislaw Lems Futurologischer Kongress als Monolog (26. November) und eine Doppelpremiere mit Stücken des Schweden Magnus Dahlström (20. Januar 1994) runden die erste Halbzeit ab. Sollte die Politik danach immer noch nicht in der Lage sein, dem JAK eine Perspektive zu bieten, „dann werden wir bis zum Ende '94 nur noch Monologe ohne Licht und Dekoration spielen. Danach ist Schluß.“

Till Briegleb

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