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Gestrandet in der „Saddam-Gasse“

Im Zuge der Golfkrise vor drei Jahren mußten 100.000 Arbeitsmigranten aus dem Jemen die Golfstaaten verlassen / 25 Prozent Arbeitslosigkeit / Finanzhilfe gestrichen  ■ Aus Hudayda Karim El-Gawhary

„Sieh dich nur um“, sagt Muhammad Abdu, „wir leben hier im Dreck.“ Er deutet auf eine armselige Ansammlung von Hütten aus Sperrholz, Wellblech und Stroh, zwischen denen der Abfall bis zum Himmel stinkt. Mughtarabuun – die Zurückgekehrten – nennen die Jemeniten die Menschen, die hier leben. Zurückgekommen sind sie aus den reichen Golfstaaten ins jemenitische Nichts. In Anspielung auf den irakischen Diktator Saddam Hussein haben die Einwohner ihr Slumviertel „Saddam-Gasse“ getauft. Abdu gehört zu den rund 100.000 Rückkehrern, die sich zu Beginn der Golfkrise vor drei Jahren in Lagern im nordjemenitischen Hudayda angesiedelt haben. Die Bevölkerung der Hafenstadt am Roten Meer hat sich damit fast verdreifacht. Hier vegetieren sie nun dahin, die gestrandeten Opfer des Golfkrieges.

Fast eine Million Jemeniten haben zu Beginn der Golfkrise im September 1990 ihre Zelte in den reichen Golfstaaten abgebrochen, schätzt Ahmad Al-Shilibi, der ehemalige Vizeminister des Ministeriums für die Angelegenheiten der Mughtarabuun. Die Regierung versuche ihr Bestes, um den Rückkehrern zu helfen, sagt er.

In der Saddam-Gasse ist während der letzten drei Jahre allerdings nicht viel passiert. Die Mittel des jemenitischen Staates sind knapp. „Wäre eines der reichen Industrieländer unser Zuhause, dann hätte man unser Problem vielleicht schon längst gelöst, aber unser Staat ist arm“, urteilt Abdu milde über die Regierung in Saana. Es gibt keinen Strom, das Wasser muß in Tankwagen geholt werden. „Ansar-Institut – Grundschule“, steht verheißungsvoll auf einem Schild geschrieben. Von einer Schule ist allerdings weit und breit nichts zu sehen. „Wir leben im Viertel der Schilder und Ankündigungen. Wenn es nach den Schildern ginge, dann stände hier alles zum besten“, antwortet ein Passant sarkastisch auf die Frage, wo denn nun eigentlich die Schule sei.

Ähnlich stehe es mit der Wohlfahrtsorganisation, die Abdel Galal Thabit, ein Angehöriger einer der größten jemenitischen Handelsfamilien, hier errichtet hatte. Als Mitglied der islamistischen Islah- Partei warb er im Viertel um Wählerstimmen. Zur Untermauerung seines Anliegens wurden in der Vorwahlzeit einige Wassertanks aufgestellt. Mit Erfolg: Thabit wurde bei den Wahlen im April dieses Jahres gewählt. Die Aktivitäten der Wohlfahrtsorganisation waren damit aus der Sicht des Initiators überflüssig geworden. Heute ist die Organisation nur noch auf zahlreichen Schildern und Wandgraffiti im Lager präsent.

Abdu lädt mich schließlich in seine Hütte ein. Aus einem Haufen Blech, Holz und Stroh hat er versucht, für sich, seine Frau und seine drei Töchter das Beste zu machen. Selbst ein an eine Autobatterie angeschlossener Fernseher gehört zum Inventar. Viele der Rückkehrer wurden von ihren anderen Familienmitgliedern im Jemen aufgenommen. Doch für Abdu war das keine Lösung. Sein Bruder ist ebenfalls bettelarm. Früher hatte Abdu ihm eine monatliche Überweisung aus Saudi-Arabien zukommen lassen. Nun verdingt er sich als Tagelöhner für 150 Rial, umgerechnet zu Schwarzmarktpreisen sechs Mark am Tag. Das reicht noch nicht einmal für Fisch, einem der Hauptnahrungsmittel an der jemenitischen Küste. Sogar das Qat-Kauen habe er aufgegeben, sagt Abdu. Die Qat-Pflanze ist die jemenitische Volksdroge, der fast alle Jemeniten jeden Nachmittag anhängen. Selbst weniger gut Bemittelte versuchen, sich täglich wenigstens eine Rationen minderer Qualität zu besorgen.

„Ich möchte, daß es meinen Kindern gut geht, aber ich habe keine Chance“, sagt er. Stolz zeigt er seine Jüngste, eine siebenjährige Tochter, die im hinteren Teil der Hütte im Sand neben einer Ziege sitzt. Die Ziege hat sich Abdu angeschafft, um wenigstens ansatzweise des Abfalls Herr zu werden, der selbstverständlich nicht abtransportiert wird.

Er erzählt von den vergangenen goldenen Zeiten in Saudi-Arabien. Fast 24 Jahre hat er dort mit seiner Familie gelebt. Zwei kleine Restaurants konnte er sein eigen nennen. Ausführlich berichtet er von seinem Haus in Saudi-Arabien mit der eingebauten Klimaanlage. Während er zurückblickt, steht ihm der Schweiß auf der Stirn. An der Tihama, der jemenitischen Rotmeerküste, sind Temperaturen von 50 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von 86 Prozent keine Seltenheit. Der soziale Abstieg Abdus führte noch nicht einmal von der Klimaanlage zu einem Ventilator. Der macht ohne Strom schließlich auch keinen Wind.

Die Geschichte der Rückkehr ist schnell erzählt. Während der Golfkrise stellte sich die jemenitische Regierung nicht auf seiten der Golfnachbarn gegen Saddam Hussein. Böse Zungen behaupten, die Regierung in Sanaa sah die Tage der Golfmonarchien bereits gezählt, die Amerikaner würden dafür sorgen, daß in Zukunft große demokratische Umbrüche zu erwarten seien. In Sanaa kursiert die Geschichte von Landkarten der arabischen Halbinsel, die während der Golfkrise gedruckt worden seien und auf denen Saudi-Arabien als Staat nicht mehr auftauchte.

Für die Jemeniten in den Golfstaaten hatte diese Politik verheerende Folgen. Lange hatten sie in Saudi-Arabien mit einem Sonderstatus gelebt. Sie erhielten ihre Visa direkt an der Grenze, brauchten keine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen. Selbst der für alle anderen arabischen Arbeiter obligatorische saudische Bürge, der meist einen Teil des Gehalts für sich beansprucht, war für die Jemeniten kein Problem. Eigene kleine Unternehmen in jemenitischer Hand waren keine Seltenheit. „Ich habe geglaubt, daß meine Zukunft dort lag, und kam gar nicht auf die Idee, jemals wieder zurückzukehren“, sagt Abdu.

Das alles änderte sich schlagartig im September 1990. Nicht mehr als zwei Monate hatten sie Zeit, ihre Geschäfte aufzugeben oder als Arbeiter einen Bürgen zu finden. Abdu verkaufte seine beiden Restaurants für ein Zehntel des Marktpreises und war froh, Saudi- Arabien heil verlassen zu können. Er war beileibe nicht der einzige, dem es so erging. Auf fast acht Milliarden Dollar werden die von den Jemeniten zurückgelassenen Festwerte geschätzt. In den saudischen Medien lief eine Hetzkampagne gegen alles Jemenitische. Die einzigen, die zu Abdus Familie standen, waren ihre saudischen Nachbarn, die ihnen noch heute zum Fastenmonat Ramadan ein Päckchen schicken.

Die Situation weitete sich nicht nur für Rückkehrer wie Abdu zu einer Katastrophe aus. Sie ließen die jemenitische Bevölkerung fast über Nacht um 8 Prozent anschwellen. Die Arbeitslosigkeit stieg von 4 auf 25 Prozent. Unter den Rückkehrern fanden 40 Prozent keine neue Anstellung. Nach Angaben aus Sanaa wurden 1,7 Milliarden Dollar Finanzhilfe vornehmlich aus den Golfstaaten und dem Irak gestrichen. Unklar bleiben die Verluste durch die eingestellten Überweisungen der zuvor am Golf arbeitenden Jemeniten. Die Löhne sanken aufgrund des Überangebotes an Arbeitern, während die Preise für Nahrungsmittel zwischen 1990 und 1992 um fast 200 Prozent anstiegen.

Letzten Dezember platzte schließlich vielen der Kragen. In allen größeren Städten brachen Aufstände aus. Sanaa geriet vier Tage lang außer Kontrolle. Berichte sprechen davon, daß die Regierung erst durch die Entsendung von 8.000 bewaffneten Stammeskämpfern von außerhalb wieder die Gewalt über die Hauptstadt errang. Mehrere Menschen kamen bei den Aufständen ums Leben, Hunderte wurden verletzt und Tausende verhaftet.

Heute ist jede größere Straßenkreuzung, jedes bessere Restaurant und jede der wenigen Boutiquen Sanaas von einer Schar von Bettlern umlagert. Am Strand und in den Straßen von Hudayda liegen nachts Hunderte von Menschen, die ihr Haupt für wenige Stunden auf einem Stück Pappe, auf einer Zeitung oder direkt in den Staub betten. Meistens sind es die sogenannten Achdam – Menschen afrikanischen Ursprungs, die früher auf der untersten Stufe der sozialen Leiter für andere Jemeniten als Diener arbeiteten. Viele von ihnen hatten dem Jemen in Richtung Golfstaaten den Rücken gekehrt, um in der Fremde völlig neu anzufangen und ihren sozialen Status zu verbessern. Jetzt sind sie zurückgekehrt in das alte Elend von früher. Nicht einmal als Diener will und kann sie heute jemand mehr einstellen. Nach Angaben der UNO stieg die Anzahl der Jemeniten, die unter der Armutsgrenze leben, von 15 auf 35 Prozent.

Manche der Rückkehrer hoffen jetzt auf eine erneute Annäherung zwischen ihrer Regierung und den Golfmonarchien. Mit Saudi-Arabien wurde eine neue Grenzkommission gegründet, die nun den seit ewigen Zeiten schwelenden Konflikt zwischen beiden Ländern schlichten soll. Der jemenitische Außenminister Muhammad Salim Basindwa versucht inzwischen sein Bestes, die Kontroversen mit dem großen Nachbarn zu schlichten und die eingefrorenen Beziehungen wieder aufzutauen. Am liebsten würde er den Grenzkonflikt mit Saudi-Arabien von den anderen Problemen trennen. Schließlich hatten die beiden Länder vor der Golfkrise trotz des Grenzkonfliktes vorzügliche Beziehungen, und der Streit um die Grenzziehung könne sich noch jahrelang hinziehen, ließ Basindwa unlängst in einem Interview mit Al-Wasat, einer von Saudi-Arabien finanzierten Zeitschrift vernehmen.

So viel Zeit hat die Regierung in Sanaa aber nicht. Das neu entdeckte Öl an der Grenze zwischen dem ehemaligen Nord- und Südjemen dürfte nur die allergrößten Probleme etwas abmildern. So hofft Sanaa, möglichst bald wieder die überschüssigen Arbeiter durch Migration in die Golfstaaten loszuwerden und gleichzeitig erneute finanzielle Hilfe aus dem Norden zu bekommen. Ob die Jemeniten aber jemals wieder den Sonderstatus früherer Zeiten genießen werden, bleibt vor allem aufgrund der neuen ökonomischen Krise Saudi- Arabiens fraglich. „Wir hoffen, daß sich die Golfstaaten wieder mit unserer Regierung einigen“, sagt Abdu. Manche der ehemaligen Migranten werden dann sicher versuchen zurückzukehren. Für Abdu selbst bleibt es fraglich, ob er wieder nach Saudi-Arabien gehen würde. Er wirkt müde. „Es reicht, einmal im Leben alles verloren zu haben. Wenigstens genieße ich hier im Gegensatz zu Saudi- Arabien ein wenig Freiheit“, sagt er. Dabei weiß er wohl, daß ein demokratischer Neuanfang in den Golfstaaten die einzige Chance wäre, mit seiner Familie aus der übelriechenden feuchten Hitze seines aus dem Notwendigsten zusammengezimmerten Verschlages zu entkommen.

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