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Wer ist Opfer, wer ist Täter?

Anstiftung zum Mord wirft die Anklage der ehemaligen Grünen-Politikerin Ilona Hepp vor / Der scheinbar klare Fall hat inzwischen fast kafkaeske Verschlingungen  ■ Aus Berlin Gerd Nowakowski

„Wer bei meiner Story nicht blöd im Kopf wird, muß gute Nerven haben“, merkte die Angeklagte vor wenigen Tagen mit viel Sarkasmus an. Dabei schien der Fall anfänglich schrecklich eindeutig zu sein: Führende Grünen-Politikerin, die sich für das Elend der Dritten Welt einsetzt und ein karges Leben in einer Hinterhofwohnung fristet, entpuppt sich als geldgieriges Monster mit verlogener Doppelmoral. Obwohl bereits seit Jahren durch den Tod des Vaters Millionenerbin, trachtet sie – nach dem Ableben der Mutter – nach dem Erbteil des Bruders und hetzt ihm einen Killer auf den Hals. Der gekaufte Mörder jedoch plaudert bei der Polizei – bei der Geldübergabe klicken die Handschellen.

Ein Jahr nach der Verhaftung von Ilona Hepp und einen Tag vor Beginn eines neuen Prozesses ist von jenem klaren Bild kaum noch etwas übriggeblieben. Die klare Zuordnung von Täter und Opfer ist längst hinter der traumatisch verklammerten Haßliebe zwischen Bruder und Schwester zurückgetreten; beide beschädigt von einer mütterlichen Erziehung, die Konkurrenz und Feindschaft zwischen ihnen züchtete. Möglich erscheint zudem, daß Bruder und Schwester Opfer einer Intrige aus der Unterwelt werden sollten, die nur auf dem Nährboden dieses Geschwisterkonflikts wachsen konnte.

Unübersehbar ist vor allem geworden, daß die Kriminalpolizei nur entlang den klaren Bildern ermittelte – zuungunsten des ehemaligen Mitglieds des Vorstands der Berliner Grünen. Die Vorverurteilung durch die Berliner Boulevardpresse – Schlagzeile: „AL-Chefin zum Killer: Treib ihn ab, ich will ihn weghaben“ – und die Ignoranz der Kripo haben jedenfalls dazu geführt, daß eine Vielzahl von entlastenden Spuren und Widersprüchlichkeiten bislang nicht verfolgt wurde. Die Leidtragende ist die 39jährige Ilona Hepp, die ihr Millionenvermögen jahrelang deshalb verschwiegen haben will, weil es ansonsten ihre Arbeit bei den Grünen belastet hätte: sie sitzt seit dreizehn Monaten in Untersuchungshaft. Entlassen wurde sie auch nicht, als Ende April der erste Prozeß wegen offenkundiger Ermittlungslücken platzte.

Nach der Anklage soll Ilona Hepp im Februar 1992 die Freundin ihres Bruders – eine ehemalige Prostituierte – gebeten haben, einen Killer zu suchen, um den 43jährigen Kunsthistoriker Nicolas Hepp zu töten. Dafür übergab sie ihr 10.000 Mark. Diese freilich offenbart sich ihrem Freund – woraufhin Nicolas Hepp einen Bekannten nach Berlin schickt, der sich als Killer andient. Als man sich handelseinig wird, fährt Ilona Hepp, die sich insbesondere für die Kurden engagierte und vor Jahren bei einer Protestaktion im Iran inhaftiert wurde, in die Schweiz und hebt 50.000 Dollar ab. Bei der Übergabe der Summe greift die Polizei zu.

Gänzlich anders freilich die Version der Angeklagten. Der Fall bekommt bei ihr fast kafkaeske Züge. Danach sei sie Opfer eines komplizierten Komplotts ihres Bruders geworden, der nicht verwinden könne, daß die Mutter vor ihrem Tod das gesamte Vermögen auf die Tochter überschrieben habe. Sie habe das Geld lediglich deswegen abgehoben und gezahlt, weil der angebliche Killer bei ihr mit der Drohung aufgetaucht sei, ansonsten würden der Bruder und dessen Freundin ermordet. Erst bei der Verhaftung sei ihr klargeworden, daß ihr eine Falle gestellt worden war vom Bruder, den sie für psychisch krank hält. Der Bruder, der sich seit Jahren im Prostituierten- und Spielermilieu bewege, wolle sie „vernichten“ und in den Selbstmord treiben, glaubt sie. Der Haß auf den Bruder, dem sie einen aufwendigen Lebensstil vorwirft, bricht sich oft genug in wirren Argumenten Bahn. Der psychologische Gutachter bescheinigt ihr eine verminderte Schuldfähigkeit.

Jenseits des Geschwisterkonflikts aber ist die Anklage in mehreren Punkten erschüttert. So bleibt unberücksichtigt, daß schließlich Ilona den allergrößten Teil des mütterlichen Vermögens erhielt – also kaum ein materielles Motiv für die Mordaktion besitzt. Plausibel kann die Staatsanwaltschaft auch nicht erklären, warum Ilona Hepp ausgerechnet die Freundin des Bruders mit der Suche nach einem Killer beauftragt haben sollte. Einen Telefonmitschnitt, auf dem Ilona Hepp den Mordauftrag erteilt haben soll, wertete die Kripo als Beweis – ohne das Band auf Manipulationen untersucht zu haben. Zudem ist die Kronzeugin der Anklage selbst ins Zwielicht geraten. Der in Essen lebende Bruder warf Marita L. in einem Brief an die taz vor, sie habe gegenüber den verfeindeten Geschwistern mit einem „Doppelspiel versucht, aus der zerstrittenen Situation für sich den größten Vorteil zu schlagen“. Möglicherweise ist dies ein zentraler Hinweis auf ein Komplott aus dem Essener Halbweltmilieu, bei dem die Beteiligten versuchten, beide Geschwister gegeneinander auszuspielen und finanziell zu schröpfen.

Nicolas Hepp jedenfalls erklärte gegenüber der taz, Marita L. habe mehrfach versucht, ihn zu erpressen. Anfang 1992 habe die Frau, von der er sich inzwischen getrennt hat, beispielsweise 150.000 Mark verlangt. Dabei habe sie gedroht, „sie wisse sehr viel über mich, was für die Gegenpartei von Interesse wäre“. Drei Monate später – als Ilona Hepp angeblich längst nach einem Killer suchen ließ – habe Marita L. ihm sogar vorgeschlagen, er solle doch zur Lösung seiner Erbschaftsprobleme seine Schwester umbringen lassen.

Auch bei der Staatsanwaltschaft müßten inzwischen alle Warnglocken läuten, was die Glaubwürdigkeit von Marita L. angeht. Ein weiterer Zeuge der Anklage hat nämlich inzwischen seine Aussage gegenüber der Polizei verändert. Der Kaufmann K. war mit Nicolas Hepp und dem angeblichen Killer Andreas A. nach Berlin zur Kontaktaufnahme mit Ilona Hepp gefahren. Der Mann sagt nun aus, bereits drei Monate vor der Berlin- Tour habe Marita L. ihm erklärt, „man wolle jemanden ausnehmen“ und er solle dabei mitmachen. Dabei sollte es um eine Summe von 300.000 Mark gehen.

An Glaubwürdigkeit verloren hat auch der angebliche „Killer“. Der 43jährige Metallarbeiter aus Remscheid hatte nach der Verhaftung Ilona Hepps die Geschichte der angeblichen Anwerbung der Springer-Presse als Serie verkauft. Titel: „Blutgeld in der Plastiktüte“. Nun stellte sich heraus, daß Andreas A. 16mal vorbestraft ist. Darunter finden sich Verurteilungen wegen Diebstahls, Urkundenfälschung und sexuellen Mißbrauchs.

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