: Streik belebt die Bewegung!
Bundesweiter Frauenstreik für den 8. März 1994 geplant / Von Rostock bis München schließen sich Frauen zu dezentralen Aktionsgruppen zusammen / Samstag wird in Kassel koordiniert ■ Von Sabine am Orde
Berlin (taz) – „Jetzt müssen wir die letzten Kräfte mobilisieren, und das wissen die Frauen auch.“ Katharina Markert vom Arbeitskreis autonomer Frauenprojekte ist trotz allem optimistisch. Für die Berlinerin bedeutet die Krise, in der die Frauenbewegung steckt, auch eine Chance. „Deshalb ist der Zeitpunkt für den FrauenStreikTag nicht schlecht gewählt.“ Auch Angela Helfer vom Kölner ÖTV- Kreisfrauenausschuß setzt auf dessen mobilisierende Kraft: „Bei all den Verschlechterungen ist vielen Frauen klar, daß es höchste Zeit ist, etwas zu tun.“ Streiken wollen die Frauen am Internationalen Frauentag, dem 8. März 1994. Gründe dafür gibt es mehr als genug: die Karlsruher Entscheidung zum § 218 und der drastische Anstieg der Frauenerwerbslosigkeit, der Abbau von Sozialleistungen und die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl.
„Wir werden nicht länger hinnehmen, daß unsere Rechte abgebaut werden und sich die Situation in Deutschland noch weiter verschlechtert“, sagt Brigitte Hussein vom Streikkomitee Köln-Bonn. Die Frauen im Rheinland sind neben dem Unabhängigen Frauenverband (UFV) in Berlin die Initiatorinnen des bundesweiten FrauenStreikTags. Unterstützt werden sie von einem breiten Bündnis von Gewerkschafterinnen und Sozialdemokratinnen, autonomen, grünen und bürgerbewegten Frauen, Akademikerinnen, Medien- und Kirchenfrauen aus Ost und West.
Sie werden „die Arbeit niederlegen, betriebliche Aktionen bis hin zum Streik durchführen, nicht einkaufen gehen, nicht mehr höflich lächeln, nicht nett sein und die Kinder den Männern mit zur Arbeit geben“, wie es im bundesweiten Aufruf heißt. Doch geplant ist kein Generalstreik, geplant sind Aktionen. Warum heißt das Ganze dann Streik? Aktionstage habe es schon hundertmal gegeben, erklärt Brigitte Hussein. „Streik“ habe eine Symbolkraft, die mobilisiert. „Außerdem fassen wir den Streikbegriff weiter: Wir verstehen ihn als Verweigerung.“
Diese Strategie scheint aufzugehen. Inzwischen gibt es von Rostock bis München lokale Streikkomitees, die Aktionen vor Ort planen. In Mecklenburg-Vorpommern hat es bereits eine Info-Tour gegeben, in Berlin sollen im September Traktoren mit Bauwagen zu einer Palaverfahrt aufbrechen. In Bonn und Berlin wird koordiniert und die Werbetrommel gerührt. Am Samstag findet in Kassel ein zweites bundesweites Treffen aller Streikinteressierten statt, im November ist zwecks Mobilisierung ein Kongreß geplant.
Edeltraut Rogee, Landesbezirksvorsitzende der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) in Sachsen-Anhalt, unterstützt den Streik, ist aber skeptisch: „Frauen resignieren und ziehen sich zurück.“ Es sei sehr schwer, sie zu mobilisieren. „Von einer Massenbewegung sind wir weit entfernt.“ Auch in Berlin sei die Stimmung vielerorts schlecht und lethargisch, meint Ulrike Bagger vom Unabhängigen Frauenverband (UFV). Viele Frauenprojekte der Stadt sind von Streichungen bedroht und kämpfen ums Überleben. „Die haben erst mal andere Sachen im Kopf.“
Trotzdem ist Projektefrau Katharina Markert zuversichtlich. „Die Streikidee wird in den Projekten durchweg positiv aufgenommen.“ Sie soll in Berlin mit der Finanzmisere der Projekte verknüpft werden. Die Schwierigkeiten der Projekte zeigten außerdem die Notwendigkeit, Berührungsängste abzubauen. Reizvoll an dem Streik sei das breite Bündnis.
Damit sieht es bisher gut aus. Nach der Erweiterung des Streikbegriffs wächst die Unterstützung der Gewerkschafterinnen. „Für uns ist es problematisch, zum Streik aufzurufen“, sagt Gabriele von Camen, Leiterin der DGB- Frauenabteilung in Düsseldorf. Denn politische Streiks sind in der Bundesrepublik verboten. Doch politisch motivierte Arbeitsniederlegungen hat es mit Unterstützung von Einzelgewerkschaften auch schon in anderen Zusammenhängen gegeben, gegen die Nachrüstung zu Hochzeiten der Friedensbewegung oder jüngst nach den rassistischen Morden in Solingen. Inhaltlich unterstützen die DGB- Frauen den Protest. Deshalb will der Bundesfrauenausschuß zu „betrieblichen Protestaktionen“ aufrufen. „Frauen könnten kollektiv die Pausenzeiten überziehen oder sich demonstrativ an überbetrieblichen Aktionen beteiligen“, schlägt Gabriele von Camen vor. Dem Aufruf des Frauenausschusses muß jedoch zunächst der Bundesvorstand zustimmen. Bleibt zu hoffen, daß er nicht noch einmal einen frauenpolitischen Schwerpunkt kippt, wie das zum 1. Mai geplante Motto „Frau geht vor“.
Einige Frauen in den Einzelgewerkschaften sind mutiger. Die Bundesfrauenausschüsse von GEW und ÖTV und die Frauenabteilung der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) stehen hinter dem Protest. „Wir können zwar nicht zum Streik aufrufen, aber fünf Minuten keinen Kaffee zu kochen oder die Griffel fallen zu lassen, das ist möglich“, sagt Ilona Schulz-Müller, Leiterin der DAG- Frauenabteilung. Einen Tagesstreik hält auch sie für nicht durchführbar. „Selbst mutige Frauen haben berechtigte Angst um ihren Arbeitsplatz.“ Besonders im Osten wäre ein solcher Streik für viele Arbeitgeber „ein gefundenes Fressen, um die Frauen loszuwerden“. Auch Ilona Schulz-Müller wartet auf eine Entscheidung ihres Bundesvorstands, bevor die Arbeit richtig losgehen kann.
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