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Fünf Botschaften

Das „Angry Women Live“-Festival im Tempodrom  ■ Von Claudia Wahjudi

Zwei Tage „Angry Women Live“ – das sind zwei Tage, an denen Frauen auf der Bühne stehen, an den vorderen Mikrophonen, statt hüftewiegend, leise summend im Hintergrund, statt im Backstage am Catering-Tisch, statt an der Promo-Hotline oder im Tourbus, in dem aufgedrehte Musikermänner beruhigt werden wollen. Die Headline, die Irmgard Schmitz vom Loft und Gunda Susan Kniggendorf-Lingk vom Tempodrom ihrer gemeinsamen Veranstaltung gegeben haben, scheint eindeutig zu sein: Im Musikbetrieb, in dessen Spotlights immer noch vor allem Männer erscheinen, gibt es Frauen, die aggressiv ihr eigenes Ding machen.

Im Festkonzept verbergen sich aber noch andere Aussagen, beispielsweise daß „Angry Women“ nicht nur als selbsternannte Schlampen in Girl-Groups auftreten. Das Fest wirkt interdisziplinär, vermittelt nicht nur zwischen Stilen, sondern auch zwischen Genres. Zwar ist der Freitag der ehemals weiblich besetzten Kategorie Performance vorbehalten, der Samstag dann der Musik, doch so strikt ist die Unterscheidung nicht.

Gudrun Gut etwa, die dem Berliner Publikum vor allem über Malaria und Matador bekannt ist, tritt am ersten Abend mit Myra Davies, einer ehemaligen Galerie-Mitarbeiterin, auf. In „Miasma“ (Pesthauch) untersuchen sie multimedial weibliche Seelen und Sexualität. „Spoken Word + Sound“ heißt ihr Projekt, das 1992 in Kanada auch als Butoh-Oper aufgeführt wurde. Mit Gudrun Gut hat auch Danielle de Piciotto, Modemacherin und Sängerin der Space Cowboys, gearbeitet: Gemeinsam haben sie für den Zeltvorplatz eine Installation zum Thema „Angry Women“ entworfen.

Und auch Magita Haberland, die nun Performances über die Mythen der Menschheitsgeschichte aufführt, spielte ehemals bei Abwärts und war solo stets bei John Peel vertreten. Priscilla B. wiederum kommt von den darstellenden Künsten: Ihre alles beherrschenden Verbalattacken bei den Aufführungen der Berlin Playactors sind noch allzu gut im Gedächtnis, wenn sie jetzt Geschichten von kriegerischen und mordenden Frauen in Szene setzt. Und nicht zuletzt, wohl aber zum Schluß des zweiten Abends, schwingt sich das Berliner Akrobatinnen-Duo Kriskatz in die Luft.

International ist diese Besetzung, und das könnte die dritte Botschaft sein: Der Wille aufzutreten ist unabhängig vom Lokalkolorit, wenn auch nicht unabhängig von der Zeit. Viele Teilnehmerinnen traten erstmals Anfang der Achtziger an, als Punk noch die Illusion gewährte, daß vor dem Mikrophon alle Geschlechter gleich seien. Nicht von ungefähr knüpfen die britischen Voodoo Queens mit ihren rabiat simplen Akkorden an die Traditionen dieses Aufbegehrens an.

Der Kosmopolitismus im Tempodrom allerdings beschränkt sich auf die bewährte Austauschachse Nordamerika/Großbritannien/ Westdeutschland und spiegelt so unfreiwillig die schwierige Verständigung zwischen Frauen in Ost und West. Freilich würde es auch kompliziert genug, müßten alle Beteiligten an einem Tisch streiten. Denn – und das wäre die vierte Botschaft – einen Konsens gibt es nicht. Musikalisch nicht, wenn die geheimnisvollen Gesänge von When Girls Collide auf den sanft hiphoppelnden Klang der Cookie Crew treffen, und strategisch schon gar nicht. Während Lydia Lunch ihren Körper als Demonstrationsobjekt einsetzt und sich beim Fellatio filmen läßt, während die Kanadierinnen Lorri Millan und Shawna Dempsy mit überdimensionalen, knallroten Vulvas aus der Requisite operieren, will Cora 'E' nicht ständig an ihre Organe erinnert werden. „Und im HipHop ist das nicht so, da hat mich noch nie jemand darauf angesprochen, daß ich ein Mädchen bin“, antwortete die Heidelberger Rapperin der Spex und befand: „Erst die Medien haben mich auf den Gedanken gebracht.“ Cora will einfach posen und sprühen, unabhängig vom Geschlecht. Mit ihrer Haltung steht sie nicht allein. Auch die Kölner Autorin Isabelle Graw bezweifelte jüngst, ob man „eine Präsenz des Körpers kontinuierlich voraussetzen“ könne, „als Besonderheit der weiblichen Existenz“.

Das wäre zu debattieren, möglichst bald und auch in der Musik, bevor die Gender-Diskussion gänzlich in den Unterhaltungskolumnen verschwindet. Ein Nachrichtenmagazin, das sich über 70 Prozent männlicher Leser rühmt, brachte in seiner aktuellen Ausgabe einen Hinweis auf das „Angry Women“-Festival und bestätigte damit Botschaft Nummer fünf, die Schmitz und Kniggendorf-Lingk ihrer Projektbeschreibung mitgaben: „Durch die Konzentration von zahlreichen aufregenden Künstlerinnen auf zwei Festivaltage ergibt sich automatisch ein größeres Interesse der Medien wie der Zuschauer.“ Oder erst dann und unter nicht ganz treffender Überschrift. Von „musikalischem Geschlechterkrieg“, wie der Wochenendtip überschrieben war, kann so heftig nicht die Rede sein. Schließlich sind Männer im Tempodrom herzlich willkommen.

Heute: Lorri Millan & Shawna Dempsey, Priscilla B., Magita Haberland, Lydia Lunch & Roland S. Howard, Gudrun Gut & Myra Davie.

Morgen: Voodoo Queens, Cora 'E', Cookie Crew, When Girls Collide, Kriskatz.

Beide Konzertabende jeweils um 19 Uhr im Tempodrom, John-Foster-Dulles-Allee.

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