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Zwischen den RillenSäen und ernten und Unkraut jäten

■ Zwei aus der zweiten Reihe machen neue Platten und halten doch an gestern fest: Greg Ginn und Jack Endino

Eigentlich sind sie beide reif für ein zurückgelehntes Singer/ Songwriter-Album – aber bei beiden ist das ziemlich unvorstellbar. Kaum jemand hat die Entwicklung der amerikanischen Rockmusik des vergangenen Jahrzehnts so sehr bestimmt wie Greg Ginn und Jack Endino, und das, obwohl sie als Musiker immer nur in der zweiten Reihe standen. Ginn hat immerhin den Baß bedient, zuerst bei Black Flag (die für alle Zeiten die wichtigste Hardcore-Band Nordamerikas bleiben werden) und später dann bei Gone. Bei beiden Bands war er zwar sozusagen geistiger Vater, aber berühmt sind andere geworden, allen voran natürlich Henry Rollins. Endino bewegte die Töne zwar hin und wieder so, daß die sich durchaus in ein kommerziell annähernd verwertbares Schema hätten pressen lassen, schaffte es aber durch standhaftes Verharren in Untergrund-Strukturen erfolgreich, den Erfolg fernzuhalten.

Ihre unzweifelhaft wichtige Aufgabenzuteilung für den US- Unterground und seinen Weg ans große Geld war anderer Art. Einer der beiden war jeweils die Schlüsselfigur der letzten beiden Eruptionen des Gitarrenrocks. Im Verbund waren beide schlußendlich dafür verantwortlich, daß Nirvana so passieren konnten, wie sie passierten. Ginn bereitete den Boden, Endino säte aus, Kurt Kobian erntete – und erntet noch.

Ginn war und ist Besitzer von SST, dem in den Endachtzigern nicht nur wichtigsten, sondern auch produktivsten Independent-Label. Finanziert von wenigen erfolgreichen Bands wie Hüsker Dü und eben Black Flag, schütteten Ginn und Chuck Dukowski, sein Kumpan aus Black-Flag-Zeiten, den Markt mit langmähnigen, gitarrespielenden Jazz-Hippies zu. Inzwischen betreibt Ginn nicht nur SST, sondern mit Cruz und New Alliance zwei zusätzliche Labels – und hat haufenweise Betrugsprozesse am Hals. Der Mann ist finanziell erledigt, menschlich und musikalisch isoliert.

Endino war da schlauer. Er produzierte die Bands aus Seattle, die die Stimmung auch pekuniär ausnutzen konnten, für die SST den Markt sensibilisiert hatte. Fast jeder, der im Staate Washington eine Gitarre halten konnte, sah irgendwann mal im Studio hinter der Scheibe Endino an den Reglern sitzen. Der oft zitierte, aber mehr beschworene als tatsächlich vorhandene Seattle-Sound war Endinos Werk (als quasi Hausproduzent von SubPop). Um so tragischer für ihn, daß er ausgerechnet für „Nevermind“ nicht mehr verantwortlich war, wo er noch Nirvanas Erstling produziert hatte.

Doch während Ginn zwei Jahre lang selbst nicht mehr als Musiker in Erscheinung trat, fand Endino neben seiner Produzententätigkeit immer noch ausreichend Muße für einen regen persönlichen Ausstoß. Dieser führte netterweise die beiden inzwischen Gebrandmarkten des „Alternative Rock“ zusammen: Endino veröffentlicht nun auf Ginns Label Cruz.

Auf ihren neuesten Platten ist beiden gemeinsam, daß sie fast krampfhaft an der eigenen Vergangenheit festhalten. Ginns Soloplatte „Getting Even“, auf der er singt, Baß und Gitarre spielt (und nur von David Raven am – recht eintönigen – Schlagzeug unterstützt wird), ist gerade mal gut 31 Minuten lang. Es finden sich fast ausschließlich kurze, heftige Explosionen, hastige Baßlinien, darüber getürmte Gitarrenspuren, verzweifelt herausgestoßener, oft genug entgleisender Gesang. Eine Platte, die die ganze Wut atmet, die Black Flag einmal zu dem gemacht hat, was sie waren – auch wenn Ginn natürlich gesanglich nicht die Intensität eines Henry Rollins erreicht. Irgendwie ist „Getting Even“ also doch das fällige Singer/Songwriter-Album, wenn nicht vom Sound her, so doch im Bekenntnishaften des Vortrags.

Dabei sind die langsamen Erholungspausen auf ihre Art noch viel unverdaulicher als die hysterischen Speed-Passagen. Sowas heißt dann zum Beispiel „Hard Thing“, dümpelt zäh dahin, setzt Spitzen einzig in kreischend atonalen Soli; es ist, als hätte Ginn versucht, Beschallung für Zahnarztpraxen zu schaffen. Die Texte sind so gut wie unverständlich, aber schon die Titel der Songs lesen sich wie die Kapitelüberschriften eines Bildungsromans – als wollte Ginn in dieser guten halben Stunde seine Vergangenheit verarbeiten, kurz und klein hacken und zu den Akten legen: Beginnend mit „I've Changed“ über „Nightmares“ und „I Can't Wait“ bis zu „Not That Simple“. Beschlossen wird die Wandlung schließlich mit „Crawling Inside“.

Endino dagegen steht weiterhin ganz ohne Reue zu dem, was er mit losgetreten hat. Die Neueste von Skin Yard, wo Endino Gitarre spielt, heißt zwar „Inside The Eye“, aber ist beileibe keine Nabelschau. Skin Yard exponieren weiterhin das, was für den modernen Menschen so von den siebziger Jahren übriggeblieben ist. Dieses Second-Hand-Verständnis brachte uns Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“, die Rückkehr der Schlaghose, also die aktuelle Mainstream-Variante von Camp.

Allerdings ist Endino näher an dem verfluchten Jahrzehnt als die meisten der Bands, die er produziert hat. Der Sound von „Inside The Eye“ erinnert noch am ehesten an den staubig-hustenden, verzögerten Klang, den er den Platten der Screaming Trees gab. Dabei könnte ein Song wie „Wait For More“ – vielleicht ein wenig langsamer – vor mehr als zwanzig Jahren auch Jimmy Page gefallen haben. Skin Yard sind wie eine Eins-zu-eins- Kopie der Abbildung dieser Epoche in unseren Köpfen. Doch wenn man Original und Fälschung vergleichend zur Decakung bringt, fällt auf, daß die Farben der Siebziger doch arg verblichen sind; und daß, was sich in unserer Erinnerung abspielt, wesentlich interessanter klingt als die historischen Tatsachen. Als Produzent hatte Endino auf das aufgebaut, was Ginn eingerissen hatte. Als Musiker gehen sie zwar beide rückwärts, aber Ginn hat seine eigenen Wurzeln immerhin noch selbst gegossen. Endino jätet Unkraut und findet eine Vergangenheit, von der er gern glauben möchte, daß es seine eigene ist. Thomas Winkler

Greg Ginn: „Getting Even“, Cruz/RTD

Skin Yard: „Inside The Eye“, Cruz/RTD

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