: Letzte Zuckungen des Dualen Systems
Hinter den Kulissen wird über die Übernahme des DSD durch die Müllfirmen spekuliert / Entsorger bieten an, 870 Millionen zu stunden, wenn der Handel künftig für sie kassiert ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Berlin (taz) – Das Duale System Deutschland (DSD) zuckt nur noch. Die Firma, die nach dem Willen von Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) die Entsorgung des deutschen Verpackungsmülls regeln sollte, war bei den gestrigen Gesprächen hinter den Kulissen der Spielball verschiedener Industrieinteressen. Die verpackenden Firmen, gegen die sich das DSD schon bei der Vergabe des Grünen Punktes nicht hatte durchsetzen können, müssen rein rechtlich bis Ende März 1994 nicht nachzahlen, die Entsorgungswirtschaft will ihre Gebühren-Millionen endlich sehen, und der Handel versucht verzweifelt, das System zu retten, ohne daß es ihn etwas kostet.
Großfirmen der Entsorgungswirtschaft sollen allerdings hinter den Kulissen an einem Befreiungsschlag basteln – der Übernahme der DSD durch die Müllkonzerne. Der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundesstagsfraktion, Michael Müller, vermutete gestern, daß „das DSD durch die großen Entsorgungsfirmen übernommen wird“. Die könnten, die Gelder, die ihnen das System noch schulde, beispielsweise in Kapitaleinlagen umwandeln. Bei mehreren großen Entsorgungsfirmen wollte man solche Überlegungen gestern nicht entschieden dementieren. In der Pressestelle des Branchenführers RWE Entsorgung sprach man von „Gerüchten“. Natürlich würden Strategieüberlegungen für die Entsorgungswirtschaft nach dem Ende der jetzigen DSD angestellt. „Eine Kehrtwendung zurück zur grauen Tonne wird es jedenfalls nicht geben.“ Auch bei der münsterländischen Firma Edelhoff und dem Berliner Entsorgungsunternehmen ALBA gab es kein Dementi. Und in der Pressestelle von Umweltminister Töpfer hieß es: „Irgendwas muß ja pssieren, wenn wir's nicht retten können.“
Offen auf dem Tisch lag gestern allerdings nur ein kurzfristiger Sanierungsvorschlag der Entsorgungswirtschaft. Danach sollen vorläufig nicht mehr die unwilligen Hersteller, sondern die Händler die Gebühr für den Grünen Punkt beim DSD berappen. Sie könnten diese Gebühren ja bei ihren Zahlungen an die Lieferanten einfach abziehen, so das Argument des Hauptgeschäftsführers beim Bundesverband der Entsorgungswirtschaft (BDE), Frank-Rainer Billigmann. Die BDE-Unternehmen wären unter diesen Umständen auch bereit, dem DSD die bisher fälligen 870 Millionen Mark vorläufig zu stunden. Der Handel lehnte den Vorschlag, der ihm die finanziellen Risiken des Systems aufbürden würde, gestern ab.
DSD-Pressesprecher Gunnar John gestand die Unfähigkeit seines Unternehmens gestern offen ein. Die Verträge des DSD mit den Firmen, die den Grünen Punkt benutzen, sind miserabel. „Wir haben einen Zeichennutzungsvertrag, der nur ein sehr schwaches Kontrollinstrumentarium beiinhaltet.“ Im Klartext: Das DSD kann erst Ende März 1994 von unabhängigen Wirtschaftsprüfern untersuchen lassen, wer von seinen Lizenznehmern für jeden Becher mit dem Grünen Punkt korrekt gezahlt hat und wer unter Umständen nachzahlen muß. Ein neuer Vertrag mit besseren Kontrollen sei zwar am Mittwoch dem DSD- Aufsichtsrat vorgelegt worden. Aber die alten Verträge könnten nur mit Zustimmung der bislang zahlungsunwilligen Abfüller nachgebessert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen