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Radikalkur für Berliner Frauenprojekte

Feministischen Gesundheitsprojekten droht in Berlin das Aus / Senat setzt den Rotstift vor allem bei Frauenprojekten an / Politische Vorgaben für Mittelkürzungen?  ■ Aus Berlin Julia Naumann

Als im Oktober letzten Jahres das Erlanger Experiment publik wurde, gehörten die Mitarbeiterinnen des Feministischen FrauenGesundheitsZentrums (FFGZ) in Berlin zu den ersten, die dagegen protestierten, den Körper einer toten Frau zur „reinen Gebärmaschine“ zu degradieren. Nun droht dem bundesweit ersten Feministischen Gesundheitsprojekt das Aus. Denn im Haushaltsjahr 1994 soll das FFGZ keine finanzielle Unterstützung mehr vom Berliner Senat bekommen.

Dabei sind die Berliner FFGZlerinnen seit bald zwanzig Jahren längst gefragte Expertinnen. So, wenn es um Fragen zur Abtreibungspille RU 486 oder um Hormonbehandlungen geht. Selbstuntersuchungen zur Entdeckung des eigenen Körpers, einst aus den USA importiert und schnell zum Aushängeschild der Frauengesundheitsbewegung avanciert, fanden von Berlin aus den Weg in andere bundesdeutsche Städte. Gut zwanzig weitere Zentren entstanden bundesweit nach Berliner Vorbild.

Rund eine halbe Million Mark beträgt der derzeitige Etat des Berliner FFGZ. Die soll nun, geht es nach dem Willen von Berlins Gesundheitssenator Peter Luther, gestrichen werden. Doch das FFGZ steht in Berlin nicht allein auf verlorenem Posten. Auch die Lesbenberatung und die „Kontaktstelle für selbstbestimmte Geburt“ stehen auf der Streichliste. Den Berliner Frauen droht eine Radikalkur: denn der Ende Juni gefällte Beschluß des schwarz-roten Senats, 1,125 Millionen Mark vorwiegend im psycho-sozialen Gesundheitsbereich einzusparen, betrifft fast ausschließlich Frauenprojekte.

Für FFGZ-Mitarbeiterin Cornelia Burgert ist dieser Radikalschlag „eine eindeutig politische Entscheidung“. Ihre Einschätzung: „Was in Berlin schon seit langem unliebsam war, soll jetzt im Zuge der allgemeinen Sparmaßnahmen kaputtgemacht werden.“ Seit der Gründung 1974 habe das FFGZ, so Cornelia Burgert, immer eine kritische Position zur herrschenden Gynäkologie und Schulmedizin gehabt. „Diese Streichungen sind nach dem Karlsruher Urteil zur Abtreibung ein Symbol für die neuen konservativen Werte in der Bundesrepublik.“

Für Lucia Frerichs, Hebamme und Mitarbeiterin der „Kontakt- und Beratungsstelle für selbstbestimmte Geburt“, passen Abtreibungsurteil und die für das Projekt angekündigte Streichung von rund 150.000 Mark nicht zusammen: „Wir geben doch gerade Frauen den Raum, ihr teilweise ambivalentes Verhältnis zu Schwangerschaft und Geburt auszudrücken.“ So beraten zwei vom Senat bezahlte und zwei ehrenamtliche Mitarbeiterinnen monatlich rund 300 Frauen und Männer zu Ernährungsproblemen in der Schwangerschaft, Stillen, Wehen, aber auch sozialen und rechtlichen Fragen.

Die Beratungsstelle, so Lucia Frerichs, arbeitet zusammen mit dem Berliner Geburtshaus präventiv, gesundheitsfördernd und kostensparend. Viele der im Laufe der Jahre in der Beratungsstelle und dem angegliederten, noch nicht vom Aus bedrohten Geburtshaus entwickelten Ideen, wie zum Beispiel die „sanfte Geburt“, sind heute selbstverständlich geworden – von ÄrztInnen, Krankenhäusern, staatlichen oder sogar kirchlichen Beratungsstellen salonfähig gemacht. „Da unsere Strukturen teilweise übernommen wurden“, so Cornelia Burgert vom FFGZ, „denken die Politiker jetzt, wir hätten unsere Schuldigkeit getan und könnten gehen.“

Wolfgang Erichson, Referent des Berliner Gesundheitssenators Peter Luther, hält die Streichungen für fair: „Es ist besser, einigen Projekten, wie dem FFGZ, die Zuwendungen ganz zu streichen, als alle auf einem niedrigen Niveau zu halten.“ Daß die Streichungen in Berlin vorrangig Frauenprojekte treffen, hält er für gerechtfertigt: Es sei eben keine staatliche Pflichtaufgabe, Projekte wie das FFGZ oder die Lesbenberatung zu unterstützen. Bei der allgemeinen Sparpolitik des Senats sei die politische Vorgabe an den Gesundheitssenator gewesen, in seiner Abteilung nicht im medizinisch-gesundheitlichen Bereich, beispielweise bei Aids-Projekten oder in Krankenhäusern, zu sparen, sondern verstärkt im psycho-sozialen Bereich. Aber auch im medizinisch-gesundheitlichen Bereich, bei der Aids- Prävention, trifft es ein fortschrittliches Frauenprojekt besonders hart: Dem Prostituiertenprojekt Hydra sollen im nächsten Haushaltsjahr anderthalb Stellen gestrichen werden.

Bisher wurde Hydra vom Gesundheitssenat mit zwei und einer halben Stelle gefördert. Soll die einzige verbleibende Hydra-Mitarbeiterin künftig also allein durch die Straßen streifen und im Zuge der Aids-Prävention Kondome an Freier und Prostituierte verteilen?

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