: Die Größe des Langen
Bei der Volleyball-Europameisterschaft setzt das deutsche Team seine Hoffnungen auf Robert Dellnitz ■ Holger Gertz
Berlin (taz) – Vielleicht hat der kleine Mann von der brasilianischen Hörfunkstation an eine Sinnestäuschung geglaubt, als er im Mai das Weltligagastspiel seiner Brasilianer bei der deutschen Volleyballmannschaft reportieren sollte. Vielleicht an eine Begegnung der unheimlichen Art. Drunten in der Münchner Sedlmayer- Halle rangen die Südamerikaner, Olympiasieger immerhin, verzweifelt gegen das Bundesteam, im speziellen gegen die gewaltigen Schläge des Mannes mit der 13 auf dem Trikot. Der nahm die Bälle, wie sie kamen, und schmetterte sie ins gegnerische Feld, brachial und fast immer unerreichbar. Der kleine Mann vom brasilianischen Hörfunk, so war es geplant, hatte eigentlich die Kunde vom klaren Sieg Brasiliens nach Hause übermitteln sollen, jetzt blickte er mal aufs Parkett, mal auf zerknüllte Zettel, schüttelte den Kopf und stellte endlich, als Brasilien mit 1:3 unterlegen war, die Frage des Abends: „Who is this man?“
Zur gefälligen Kenntnisnahme: Der Mann ist Robert Dellnitz, 23 Jahre alt, 203 Zentimeter lang vom Scheitel bis zur Sohle, Angreifer vom SC Charlottenburg Berlin. Kennengelernt haben ihn nach den Brasilianern noch die Japaner, Griechen, Amerikaner und Russen. Mit allen maßen sich die DVV-Volleyballer in der Weltliga, überraschend oft (neunmal) mit Erfolg. Dellnitz war fast immer bei den stärksten Kräften; drittbester aller Angreifer, genauer plazierten nur die Russen Fomin und Olikyher ihre Schläge. Noch vor einem Jahr, sagt Kaweh Niroumaand, Manager des SCC, sei Dellnitz nicht mehr als ein Mitläufer im Nationalteam gewesen, nur deshalb berufen, „weil er groß und stark ist“.
Im Verein lief es auch nicht: Mit Post Berlin, wo er seit der Wende spielte, verbarg er sich im Mittelmaß der Liga. Unentwegt gegrübelt habe er damals, sagt Dellnitz, und den früheren, besseren Tagen nachgehangen: Mit 16 schon hatte er für seinen TSC Berlin in der ersten DDR-Liga spielen dürfen, mit 18 war er in der Nationalmannschaft. Dann der Karriereknick: „Abhauen wollte ich, raus aus Berlin“, Kontakte nach Frankreich rissen aber ab, ehe ein Vertrag unterschrieben war.
Was ein Glück war, für die Nationalmannschaft und den SCC Berlin. Niroumaand konnte den Angreifer doch zum Wechsel innerhalb Berlins überreden, zur selben Zeit trat Olaf Kortmann seinen Trainerdienst bei den Charlottenburgern an. Kortmann, vormals Meister mit Hamburgs Männern und Münsters Frauen. Ein Coach, wie sie ihn brauchten: Berlin und Dellnitz. Gut zu spielen allein reiche nicht aus, habe Kortmann sie gelehrt, „laut sollten wir sein, dem Gegner Angst einjagen und dauernd demonstrieren, wer der Bessere ist“. In zahllosen Einzelgesprächen stärkte Kortmann die sensible Psyche seiner Eleven. Dellnitz hat sich zwar vom Schweiger nicht gleich zum stimmkräftigen Dirigenten gewandelt, seine Kommandos sind aber viel vernehmlicher als früher. Mit der verordneten Aggressivität ist der SCC jedenfalls Meister geworden; Bundestrainer Igor Prielozny dankte für die effektive Aufbauarbeit und berief neben Dellnitz noch Franko Hölzig, Andre Barnowski, Ronald Triller und Frank Reimann in das Auswahlteam für die Weltliga und die Europameisterschaft in Finnland, letzterer mußte seine EM- Teilnahme allerdings armverletzt absagen.
Die Erwartungen sind dennoch beträchtlich vor den Vorrundenspielen gegen Polen, Finnland, Spanien, die Ukraine und Titelverteidiger Rußland: Der vierte EM- Platz soll, wie vor zwei Jahren, am Ende mindestens in der Bilanz stehen, von einer Medaille träumen manche. Auch wenn Bundestrainer Prielozny versucht, die Verantwortung paritätisch auf allen Spielerschultern zu verteilen, wird es vor allem von der Nervenstärke seines Offensivmeisters Dellnitz abhängen, ob das Vorhaben gelingt – der Lange darf zeigen, ob er ein Großer ist.
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