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Das DSD und die Kaufleute

Die Industrie zahlte nicht für den Grünen Punkt, was das System fast gekippt hätte / Niemand hatte die Lizenzverträge des DSD moniert  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – „Betrug!“ schreien jetzt alle. Industrielle Trittbrettfahrer in Mengen hätten das Duale System beinahe abstürzen lassen. Tausende böse Buben unter den 15.000 Lizenznehmern des Dualen Systems hätten der Bonner Firma weit weniger Verpackungen angegeben, als sie schließlich mit dem Grünen Punkt bedruckt haben. 90 Prozent aller Verpackungen seien bedruckt worden, aber nur für 50 Prozent würde derzeit bezahlt.

Zur Ehrenrettung der deutschen Wirtschaft muß gesagt werden: Es war eigentlich nur gute kaufmännische Praxis, der die meisten der bösen Buben da fröhnten. Die Verträge des DSD mit seinen Lizenznehmern sehen zwar vor, daß diese Lizenznehmer für jeden aufgedruckten Punkt an das DSD eine Gebühr entrichten. Der Verpacker gibt aber selbst an, wieviel Verpackungen er auf den deutschen Markt „zu bringen beabsichtigt“ und zahlt einen monatlichen Abschlag für diese von ihm angegebene Zahl von Verpackungen.

Das System ähnelt insofern einer Stromrechnung, bei der der neue Mieter angibt wie viele Personen in die Wohnung einziehen. Der Verbrauch wird dann vom Stromerzeuger prognostiziert, ein Abschlag dafür vereinbart. Erst am Ende des Jahres wird der prognostizierte Verbrauch mit dem realen verglichen und dann eine mögliche Nachzahlung festgesetzt.

Genauso beim Dualen System: Spätestens drei Monate nach Ende des Abrechnungsjahres, ab April 1994, werden nach DSD-Angaben 15.000 Wirtschaftsprüfungstestate über die Lizenznehmer erstellt. Die Testate sollen die Zahl der tatsächlich verkauften Verpackungen des Vorjahres und eine Prognose für das kommende Jahr enthalten, heißt es in dem Mustervertrag. Sie sollten von dem kleinen Haufen Mitarbeiter mit den Angaben der Firmen abgeglichen werden.

„Der Anreiz, hier zu mogeln, ist hoch“, so Bernhard Kühnle von der Verbraucherinitiative, die im Kuratorium des DSD sitzt. Um beim Mieterbeispiel zu bleiben: Schafft der neue Mieter eine Kühltruhe an, von der er weiß, daß sie die Stromrechnung erheblich erhöht, gibt er diesen Umstand natürlich vorläufig nicht beim Stromkonzern an. Bis zum Ablesen des Zählerstandes im kommenden Jahr wird er so von der höheren Stromrechnung nicht belastet.

Von einem Kaufmann in einem Abfüllbetrieb, der die Kapazität erhöht und mehr Grüne Punkte auf seinen Verpackungen anbringt, etwas anderes zu erwarten, wäre vermessen. Er würde seinen eigenen Betrieb zugunsten des DSD schädigen. Warum aber hat das DSD so löchrige Verträge abgeschlossen? Antwort: Von Anfang an wollte niemand für die Kosten des Systems aufkommen. Der unglaublich schlampige Lizenzvertrag sei im Konsens von Handel, Entsorgern, Konsumgüterindustrie und DSD erstellt worden, sagt das DSD. Der damalige Aufsichtsrat des Unternehmens, an der Spitze Nestlé-Chef Gerhard Rüschen und Hans-Christian Bremme von Tengelmann, habe den Vertrag abgesegnet.

Auch die Behörden haben ihn nicht moniert: Das Bundesumweltministerium hat nach Angaben seines Sprechers Emde den Lizenzvertrag bis vor kurzem nicht gekannt. „Sonst hätten wir da schon eingegriffen“. Dagegen liegt der Lizenzvertrag den Bundesländern vor. Sie hatten dem DSD die sogenannte Freistellung erteilt, weil sie davon ausgingen, daß die die Entsorgung und Verwertung des Verpackungsmülls klappt. Kein Zweifel an der Qualität des Vertrages: „Wenn der eingehalten worden wäre, gäbe es nichts zu beanstanden“, so die Sprecherin des niedersächsischen Umweltministeriums auch gestern noch.

Das DSD selbst geht nicht davon aus, daß es beschissen worden ist: Es stellte Strafanzeige nur gegen zwei Molkereigenossenschaften und einen Mehltütenhersteller, die überhaupt nicht für ihre aufgedruckten Grünen Punkte gezahlt haben sollen. Vehement wurde der Mißbrauch verfolgt, die Verfahren sind inzwischen eingestellt.

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