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Musikalische Sauerstoffdusche

■ Das „Frankfurter Kurorchester“ begeisterte mit dem Musikkabarett „Bon Voyage“ beim Summertime-Festival

Orchestermusiker verkörpern Ernsthaftigkeit und Selbstkontrolle. Die Mitglieder des „Frankfurter Kurorchesters“ haben das allerdings noch nicht verinnerlicht und tanzen trotz Frack und Fliege mit Sambarassel und Trillerpfeife auf die Bühne. Auch sonst halten sich die drei Männer und eine Frau wenig an Konventionen. Da folgt AC/DC auf Dvorak auf Nina-Hagen-Parodie. Die Frackröcke weichen bald einer hemdsärmeligen Hosenträgershow.

Das Programm „Bon Voyage“, am Samstag beim Summertime-Festival auf Kampnagel aufgeführt, hat mit üblichem Reisen nicht viel zu tun. Die Geschwindigkeit, mit der die Musiker in Indien, Europa, Süd- und Nordamerika auftauchen, wäre allenfalls mit Beamen zu erreichen. Kein Genre ist ihnen heilig, alle Inbrunst, mit der sich die Interpreten normalerweise umgeben, weicht in ihrer exzessiven Parodie der Lächerlichkeit. Dazwischen streuen sie mehr oder weniger geistreiche Texte.

Anne Bärenz, die sich an Tasteninstrumenten und singend ins Geschehen mischt, scheint sich auch nach anderthalb Jahren, die das Programm läuft, noch am ständigen Tabubruch zu freuen. Immer wieder lacht sie schelmisch wie eine Sextanerin, die gerade einen erfolgreichen Schülerinnenstreich gelandet hat. Frank Wolff malträtiert sein Saiteninstrument, als habe er bis heute nicht gemerkt, daß seine Mutter ihm ein Cello statt einer E-Gitarre in die Hand gedrückt hat.

Das Quartett lieferte - von sehr vereinzelten Ausrutschern abgesehen - technisch brillantes Musikkabarett, sicher selbst auf so ungewöhnlichen Instrumenten wie Fußboden und Flügelkasten. Statt multikulturellem Einheitsbrei vermischen sie nur vereinzelt Musikstile miteinander, und dann so, daß die einzelnen Komponenten deutlich zu unterscheiden sind. Das Publikum war angesichts der musikalischen Sauerstoffdusche begeistert. So gesehen kann der eher bescheidene Titel „Kurorchester“ wörtlich genommen werden.

Werner Hinzpeter

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