: Kampf dem Künstlergenius
■ Mit Messer und Pinsel: kollektive Arbeiten der Berliner Künstlergeruppe „Tacheles“ und der GaDeWe im alten „Lichthaus“
Durch die zerbrochenen Fenster pfeift der Wind. Es ist saukalt. Aus einer Lautsprecherbox dröhnt Maschineninferno. Im Raum verteilt sitzen finstere Gesellen auf provisorischen Stühlen. Manchmal steht einer auf, schlendert zu einer der buntbemalten Leinwände und beginnt zu malen. In den Ecken liegen Schlafsäcke. So ist Tacheles.
Tacheles ist eine Berliner Künstlergruppe, die im abgewrackten Gebäude des ehemaligen Arbeiteramtes der AG Weser in Gröpelingen zehn (!) großformatige Bilder hergestellt hat. Auf Einladung der Waller Produzentengalerie GaDeWe hatten sich die zehn (!) Berliner die inzwischen euphemistisch „Lichthaus“ genannte Industrieruine bezogen, um ihrer eigenartigen Beschäftigung nachzugehen. Seit dem Wochenende sind dort die Ergebnisse zu sehen.
Wer die Bilder studiert, kommt keineswegs gleich auf die Idee, daß sie alle Gemeinschaftswerke sind, Ergebnisse eines durchaus schwierigen Prozesses. Tacheles operiert mit der planmäßigen Verletzung des narzistischen Künster-Egos, und dabei fliegen gern mal die Fetzen. Jeder noch so genialische Pinselstrich ist prinzipiell übermalbar, jeder Formwille steht zur Disposition und muß sich ggf. in der Diskussion bewähren. Die Randbedingungen bilden die einzig verläßliche Klammer um das Projekt.
Tacheles arbeitet überraschend strukturiert. Das tendenzielle Chaos der Gruppe wird durch Zahlen und genaue Zeiteinteilung organisiert, nach außen demonstrieren die Berliner Hermetik. Kälte, Nässe, Dreck, ein insgesamt unerfreuliches Ambiente zeichnen den harten Weg, der schwere, die Existenz betreffende Bilder entstehen läßt. Meist sind es Bilder deformierter, gequälter Körper, wild und brachial und bunt auf die Leinwand geworfen — keine leichte Kost. Auch keine neue. Die Arbeitsweise von Tacheles erinnert an Reinigungsrituale und Gruppentherapie — was Tacheles selbstredend weit zurückweist. Der harte Weg zum Tacheles, zum Klartext.
So hat die Brigade Tacheles den Narzißmus bekämpft und zehn Bilder ausgebrütet, wobei Messer zum Einsatz kamen und Stühle in Leinwände flogen. Im Lichte dieser explosiven Ware erscheinen die Arbeiten der gastgebenden GaDeWe-KünstlerInnen unerwartet zaghaft. Ausgehend von einem ausgedienten Spindraum aus AG-Weser-Zeiten nahm sich die GaDeWe das Thema „Arbeit und Träume“ vor. Erika Plahmann und Mechthild Böger richteten die alten Spinde wohnlich ein, samt Deostift, Pin-Ups und Urlaubsfotos, je nach Charakter des imaginierten Benutzers. Jürgen Hänel und Heiko Motschiedler richteten sich ein Klo ein. Herrmann Böke tapezierte mit Illustriertenfotos — touristischen und journalistischen Bildern aus Urlaubs- und Kriegsgebieten.
Übrigens hat es ganz den Anschein, als setzten sich die KünstlerInnen Bremens im „Lichthaus“ fest, um es nie wieder zu verlassen. Nachdem vor einem Jahr die ersten KünstlerInnen einzogen und das Haus mit einer großen Ausstellung neu belebten, sind inzwischen einige dauerhafte Ateliers eingerichtet und bezogen, öffnet sporadisch ein Cafebetrieb, werden Feste gefeiert (wie am Wochenende der Lichthausball). Schon wurden este Topfblumen gesichtet. Wer sich also die Tacheles/GaDeWe- Ausstellung ansieht, kann nebenbei die Atmosphäre dieses unvergleichlichen Ortes schnuppern, kann über die Kühnheit des Gedankens erschauern, dieses Gebäude tatsächlich und sogar noch zugunsten der Kunst zu erhalten. Burkhard Straßmann
Die gemeinsame Schau von Tacheles/GaDeWe im Lichthaus, Werftstraße (Haltestelle AG Weser), läuft bis 12.9.
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