piwik no script img

In München werden dicke Bretter gebohrt

Am Sonntag wählt München einen neuen Oberbürgermeister / Gauweiler in Bedrängnis  ■ Aus München H. Thomsen

Peter Gauweiler tritt die Flucht nach vorne an. „Wir haben Ude geschont“, sagte der CSU-Kandidat im Kampf ums Münchner Rathaus gestern im Aubinger Bierzelt über seinen sozialdemokratischen Gegenspieler. „Die Schaum-vor- dem-Mund-Propaganda“ der SPD wolle nur ihre Angst kaschieren, daß ihr Wahlkampf nicht ankommt. Zu den Amigo-Vorwürfen, die der 44jährige bayerische Umweltminister in diesen Tagen wegen der Verpachtung seines Mandantenstamms an eine Anwaltskanzlei einstecken muß, sagt er unverdrossen: „Es kann nicht jeder nur öffentlicher Pensionsempfänger sein.“ Gauweiler und Ministerpräsident Edmund Stoiber hatten sich am Samstag abend über die Affäre ausgesprochen. Stoibers Unterstützung für Gauweiler hat dennoch Grenzen. Zu dem Vorwurf, Gauweiler habe der Kanzlei zu einem Auftrag verholfen, meint Stoiber: „Ich kann das rechtlich nicht beanstanden. Ich möchte es für die Zukunft aber ausschließen.“ Heute soll ein unabhängiger Prüfer eingesetzt werden, der Gauweilers Geschäftsgebaren unter die Lupe nehmen soll.

Die Affäre um die Anwaltskanzlei Nörr, Stiefenhofer und Lutz, der Gauweiler im Oktober 1990 für 10.000 Mark monatlich seinen Mandantenstamm verpachtete, spitzt sich eine Woche vor den Wahlen immer weiter zu. Als bayerischer Umweltminister setzte Gauweiler sich laut einem der Süddeutschen Zeitung vorliegenden Protokoll der „Gesellschaft für Beseitigung von Sondermüll“ (GSB) dafür ein, daß an die Sozietät ein lukrativer Auftrag erging. Gauweiler habe eindeutig Staatsamt und Privatgeschäfte miteinander verquickt, so ein CSU-Vorstandsmitglied. Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Max Streibl sei wegen weniger zurückgetreten.

Die Münchner Bürgermeisterwahl gilt vielen als Signal für das Superwahljahr 1994, in dem auch über die Zusammensetzung des bayerischen Landtags neu entschieden wird. Ministerpräsident Edmund Stoiber hat der CSU nach der Streibl-Amigo-Affäre Katharsis verordnet. Durch Gauweiler, so heißt es in der CSU-Landtagsfraktion, gerate er jetzt unter Druck.

Dabei machte Gauweilers Wahlkampf der SPD, die, abgesehen von einem christsozialen Intermezzo von 1978 bis 1984, das Rathaus am Marienplatz seit 1945 fest in der Hand hat, erst mal richtig Beine. Geschickt eingefädelt hatten's die Genossen ja, wie einen Wachwechsel: Die rot-grüne Stadtratskoalition ist bis 1996 gewählt, Oberbürgermeiste Georg Kronawitter (SPD) tritt Mitte Juni verfrüht zurück, Bürgermeiser Christian Ude (SPD) soll durch die Wahl am 12. September nahtlos und selbstverständlich in die höchste Position nachrücken. Bei der Rechnung unberücksichtigt blieben die reichlich anämische Ausstrahlung von Ude und Gauweilers massive Stimmungsmache.

Frei nach Max Webers Devise, Politik sei das Bohren von dicken Brettern, fräst sich der CSU-Kandidat in die Sicherheitsfrage. „Niedergang und Verfall“ seien München unter rot-grüner Führung sicher. Vor wachsendem Publikum malte er ein Bild à la Chicago von der bayerischen Hauptstadt. Er beschwor die Geister von Dealern, Drogensüchtigen, Obdachlosen und U-Bahn-Gangstern herauf.

Unterdessen sprang vom „Anwalt der kleinen Leute“, wie Ude sich gern verkauft, der Funke nicht recht über. „Er ist halt korrekt und solide“, urteilte Kronawitter einmal über seinen politischen Zögling. Mit der „ganz anständigen Linie“ komme man nicht rüber, befand die SPD angesichts der Schwarz-weißmalerei der Gegenseite und verlagerte sich ebenfalls aufs Gröbere. Sie verweist auf die Immobilien-Affäre des ehemaligen CSU-Oberbürgermeisers Erich Kiesl, und Kronawitter gab den neuen Ton vor: Gauweiler, „der größte Spruchbeutel, den München je gesehen hat“, sei nicht mal mehr als Minister tragbar.

Abseits vom Getöse stehen die Kandidaten der kleineren Parteien. FDP und Grüne verzichteten, nicht aber Stadtrat Bernhard Fricke von der Ökotruppe „David gegen Goliath“ und die ÖDP. Auch die Republikaner, die rechtsextreme „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ und die „Autofahrer- und Bürgerinteressen-Partei“ sind mit von der Partie. Verhindern die Kleinen am 12. September eine absolute Mehrheit, gibt es zwei Wochen später einen zweiten Wahlgang. „Mitten in der Wiesn“, befürchtet Willy Heide, der Sprecher der Wiesn-Wirte, „des wär fei nix.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen