Die Zähne des Windes

Der Kampf gegen die Afrikanische Wüstenheuschrecke wird mit Bio-Pestiziden fortgesetzt / Ob sich der Aufwand lohnt, ist fraglich  ■ Von Mirko Smiljanic

„Ça va?“ „Ça va bien!“ Hans Wilps, Biologe bei der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (gtz), reicht dem Polizeiposten unsere Reiseerlaubnis. Wir sind unterwegs nach Akjoujt, einem kleinen Dorf in der mauretanischen Sahelzone. Hier unterhält die gtz ein Forschungscamp, hier testen Wissenschaftler Wirkung wie Nebenwirkung biologischer Insektizide für den Kampf gegen die Afrikanische Wüstenheuschrecke, der Schistocerca gregaria.

In ruhigen Zeiten leben Heuschrecken vereinzelt irgendwo in den Weiten des Sahel. Dann sind sie in der harmlosen solitären Phase und richten keine Schäden an. Alle zehn bis fünfzehn Jahre aber werden sie gregär und entwickeln sich zur Plage. Der Wechsel vom solitären in den gregären Status setzt zwei, drei Jahre Regen voraus. Dann blüht die Wüste, der Boden ist feucht und weich: In drei bis vierzehn Stunden dauernden Massenorgien paaren sich Millionen Heuschrecken, und während noch das Männchen ermattet und schon im Sterben den Hinterleib seiner Partnerin umklammert, schiebt das Weibchen einen Rüssel zehn Zentimeter tief in den Sand und deponiert dort sein Gelege mit maximal einhundertfünfzig Eiern. Kurze Zeit später, wenn es feucht bleibt, schlüpfen winzige Larven. Mit der Zeit wird der Platz knapp zwischen den Tieren, immer enger rücken sie zusammen, tauschen Signalstoffe aus, wechseln ihre Farbe von Hellgrün nach Schwarz-Gelb, synchronisieren ihre fünf Häutungsphasen und befreien schließlich zum gleichen Zeitpunkt ihre Flügel aus dem harten Chitinpanzer. Wie auf Kommando fliegen sie dann los, immer mit dem Wind, lassen sich viele hundert Kilometer weit tragen. Wo sie niedergehen, fressen sie, was ihnen vor die gezackten Zangen kommt. Dann herrscht Chaos, Zerstörung und Elend.

Beim Kampf gegen Heuschrecken dominieren chemische Präparate, wobei chlorierte Kohlenwasserstoffe, Aldrin beispielsweise und Dieldrin, bis vor wenigen Jahren noch die Mittel erster Wahl waren: CKW-haltige Insektizide sind langlebig und garantieren hohe Mortalitätsraten. Allerdings zogen die chemischen Hämmer alle anderen Tiere in Mitleidenschaft und reicherten sich in der Nahrungskette an.

Heute verwenden die Sprühtrupps überwiegend kurzlebigere Nervengifte mit den Substanzen Fenitrothion, Propoxur und Deltamethrin. Weil aber auch sie die restliche Flora und Fauna in Mitleidenschaft ziehen, sollen Heuschrecken zukünftig mit biologischen Insektiziden bekämpft werden. Dazu zählen Extrakte des Neem- und des Melia-Baumes, deren Blätter Heuschrecken auch bei größtem Hunger meiden. Diese Wirkung ist zwar schon seit langem bekannt, wird aber erst jetzt untersucht. Wissenschaftler nutzen Extrakte aus dem Samen der Pflanze, wobei Mitarbeiter des Max- Planck-Instituts für Biochemie in Martinsried Azadirachtin als Hauptwirkstoff isolierten. Azadirachtin stört den Hormonhaushalt und reduziert die Reproduktionsrate: Heuschrecken können keine Reservestoffe mehr in ihren Eiern einlagern. Es entwickeln sich nur wenige Larven.

Bei Käfigversuchen in Akjoujt mit Extrakten des Melia-Baumes, dem zweiten natürlichen Insektizid, zeigte sich zudem ein erstaunlicher Effekt: Sechzig Prozent der Tiere veränderten ihre Färbung von Schwarz-Gelb nach Hellgrün, sie wechselten also vom gefährlichen gregären Stadium in den ungefährlichen solitären Status. Dieses Ergebnis ist sensationell, wirft andererseits aber auch Fragen auf. Zunächst einmal wissen Biologen nur wenig über die physikalischen und chemischen Vorgänge beim Statuswechsel. Entsprechend wenig weiß man, warum gerade Melia diese Wirkung verursacht. Möglicherweise spielen Signal- oder Locksubstanzen, sogenannte Pheromone, eine Rolle.

Eine weitere Facette biologischer Insektizide sind Pilze, die mit einer flüssigen Trägersubstanz vermischt auf Heuschreckenschwärme versprüht werden. Im Idealfall keimen die Sporen auf der Kutikula, lösen sie langsam auf und führen durch die Öffnung ihren Keimschlauch in das Insekt. Erst hier würde schließlich das Pilzmyzel wachsen, an dem das Tier verendet. Beim praktischen Einsatz gibt es aber noch große Probleme. Die Pilze brauchen eine hohe Luftfeuchtigkeit, siebzig bis neunzig Prozent wären ideal; in Wüsten variiert die Luftfeuchte aber zwischen zehn und zwanzig Prozent.

Trotz erster Erfolge sind biologische Insektizide über das Versuchsstadium noch nicht hinausgekommen. Vielleicht sind sie aber auch angesichts einer hinter vorgehaltener Hand geführten Diskussion fast überflüssig: Immer mehr Experten hadern mit dem gesamten Konzept der Heuschreckenbekämpfung. Heuschrecken entwickeln sich nur periodisch zur Plage. Wegen der katastrophalen Schäden konzentriert sich der Pflanzenschutz seit über einem halben Jahrhundert auf die Wüstenheuschrecke. Gleichzeitig vernachlässigte er aber lokale Pflanzenschädlinge, etwa Grashüpfer, die jedes Jahr Kulturpflanzen befallen.

Erste Überschlagsrechnungen bestätigen die Vermutungen: Die unspektakulären Grashüpfer verursachen weit höhere Schäden als Heuschrecken. Doch selbst wenn sie gefräßiger wären als Grashüpfer, die teuren Sprühkampagnen lohnen sich trotzdem nicht. In Südafrika beispielsweise kostete der Kampf gegen die Schistocerca gregaria pro Hektar behandelter Fläche 46 Rand; die Heuschrecken fraßen aber bezogen auf einen Hektar nur Grünzeug im Wert von drei Rand. Dieses Ungleichgewicht hat seinen Grund im unregelmäßigen Ausbrechen der Plage. Niemand weiß, wann und wo die Schwärme einfallen, trotzdem wird kontinuierlich eine funktionierende Logistik bereitgehalten. Kostengünstiger wäre, die Heuschrecken fräßen die Felder kahl und der Staat zahlt anschließend den Bauern eine Entschädigung. Eine Schadensregulierung auf internationaler Ebene wäre zwar möglich, niemand könnte aber garantieren, daß man den Bauern das Geld auch auszahlt.

Leichter Dunst liegt in der Luft. Kommt Regen? Die Tuareg gehen davon aus, auch wenn der Wettersatellit Meteosat noch keine eindeutigen Bilder liefert. Regen um diese Zeit wäre aber ungewöhnlich. Dann würden die Büsche für kurze Zeit im sattem Grün stehen, und die Heuschrecken hätten viel zu fressen. „Noch so ein Jahr“, sagen die Tuareg, „und die Zähne des Windes kommen wieder über das Land.“