: „Eine Schule für das deutsche Judentum“
Gestern wurde in Berlin nach fünfzig Jahren Zwangspause ein Jüdisches Gymnasium offiziell eingeweiht / Kein Platz für nostalgische Gefühle / Eine „Quelle der Toleranz“ soll entstehen ■ Aus Berlin Anita Kugler
Als vor einigen Wochen die Agenturmeldung über die Ticker lief, daß es mit Beginn des neuen Schuljahres nach fünfzig Jahren Zwangspause erstmals wieder ein Jüdisches Gymnasium in Deutschland geben wird, stand das Telefon beim Gründungsdirektor Uwe Mull nicht mehr still. Alle, alle, vom bayerischen Provinzblättchen bis zur New York Times wollten wissen, wie es denn um die Konzeption stehe, an welche Traditionen sie anknüpfen wird und ob dies ein Zeichen für „Normalität“ oder ein „Weltereignis“ sei. Und als dann am 6. August am historischen Ort in Berlin-Mitte, in der einstigen „Knabenschule der Jüdischen Gemeinde“ in der Großen Hamburger Straße 27 der erste Schultag begann, sahen die Kinder vor lauter Fernsehkameras die Schulbänke nicht mehr.
Jetzt, vier Wochen nach Schulbeginn, gab es die offizielle Einweihungsfeier. Viel Prominenz war gestern angereist, um dieses Ereignis zu würdigen. 27 Kinder zählt die neue, schön renovierte Oberschule, 18 von ihnen besuchen die 7. Klasse des Gymnasiums, neun die Realschulklasse. Ein Drittel von ihnen sind Nichtjuden, auch der Gründungsdirektor ist Christ.
Die Privatschule sei die „logische Fortsetzung“ der seit sieben Jahren bestehenden Jüdischen Grundschule in Berlin, betonte Uwe Mull in seiner Ansprache, sie habe sich vorgenommen, die jüdische Tradition in Religion und Alltag weiterzugeben, soll zu einer „Quelle der Toleranz“ werden und sei deshalb auf ein „engagiertes Umfeld“ angewiesen. Auf dem Lehrplan stehe neben den 29 Pflichtstunden des normalen Berliner Rahmenplans Hebräisch und fünf Stunden biblische Geschichte. Man folgt dem jüdischen Kalender und feiert die jüdischen Feiertage.
Der Direktor berichtet über die Ergebnisse einer Umfrage, wonach ein „guter Schulabschluß“ und eine „angenehme Arbeitsatmosphäre“ die Hauptgründe seien, die Ganztagsschule zu besuchen. Derweil wispern sich zwei festlich gekleidete Steppkes die Ergebnisse der Mathearbeit zu. „Scheiße, ich habe eine fünf“, sagte einer unüberhörbar und mit russischen Akzent in der letzten Reihe.
Die Schule sei ein „Baustein für eine neue Zukunft“, sagte Mordechay Lewy, der israelische Generalkonsul in Berlin. Rückblickende Vergleiche mit der „Jüdischen Freyschule“, die 1778 von den beiden Aufklärern Moses Mendelssohn und David Friedländer gegründet und in ihrem Geist bis zu Beginn des Nationalsozialismus in Berlin-Mitte weitergeführt worden war, „seien fehl am Platz“. Das jüdische Leben heute sei nicht mehr zu vergleichen mit der Vielfalt, die es einst gab. Das deutsche Judentum sei untergegangen, ein neues, durch die Emigranten aus den GUS-Staaten gespeistes, wird entstehen. Er jedenfalls warne vor nostalgischen Gefühlen.
Dieser Passus enthielt eine deutliche Kritik an der Rede von Waldemar Ritter vom Bundesinnenministerium. Der hatte sich nicht gescheut, von der deutsch-jüdischen Symbiose der Vorkriegszeit zu reden, und der Hoffnung, daß es zu einer zweiten komme. Eine Hoffnung, die auch Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, formulierte: „Ich wünsche“, sagte er, „daß aus dieser Schule wieder einmal das kommt, was einmal das deutsche Judentum ausgemacht hat.“
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