Ende der Koedukation

■ Nach dem Berlinger Urteil: Ist die Differenzierung nach Geschlechtern ein Weg?

Ayse muß nicht mit Jungen zusammen turnen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes in Berlin, verkündet in der vorvergangenen Woche, hat Peter Kappel nur noch am Rande erlebt. Kappel ist Schulleiter am Schulzentrum Waller Ring, wo Ayse eine 10. Klasse besucht. Seitdem die Eltern des muslimischen Mädchens vor zwei Jahren schon vor dem Verwaltungsgericht Bremen Recht bekommen und eine Freistellung vom gemischtgeschlechtlichen Sportunterricht erwirkt hatten, turnt es nur noch in einer Mädchengruppe unter Anleitung einer Lehrerin.

„Wir haben hier gedacht: Die Gerichtsentscheidungen dürfen auf keinen Fall auf Kosten der Schülerin gehen“, erzählt Kappel. Die Differenzierung nach Geschlecht werde in bestimmten Klassen ohnehin vorgenommen, „weil die Kinder in der Pubertät dort sonst sehr hart aufeinanderprallen würden.“ Betroffen von Ausnahmen beim Regelunterricht in der Schule sind übrigens nicht nur strenggläubige muslimische Mädchen: Auch junge Zeugen Jehowas oder Pfingstler, die als Aussiedler in den letzten Monaten vermehrt nach Bremen gekommen sind, stoßen mit ihren Gebräuchen und Glaubensgrundsätzen öfter an die Grenzen eines Klassenverbandes.

Der Ausweg des Praktikers Kappel ist nicht unumstritten. Monika Thiele, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Sport, plädiert „für einen gemischtgeschlechtlichen Unterricht bis zur Sekundarstufe II“. Befreiungen könnten nur im Einzelfall genehmigt werden, die u.a durch das Berühren sexueller Tabus anderer Kulturen begründet sein können. Die Differenzierung nach Geschlechtsmerkmalen sieht sie „mit einem Grinsen“: „Strenge feministische Forderungen treffen sich hier mit orthodoxem Fundamentalismus.“

Petra Milhoffer, Professorin für Erziehungs- und Gesellschaftwissenschaften an der Uni Bremen, tritt für eine Differenzierung nach Geschlechtern ein. „Mädchen werden oft an den Rand gedrängt. Gerade im Sport sind die Jungen besonders raumgreifend, die Mädchen laufen mit und gehen in die innere Verweigerung.“ Differenzierung nach Geschlecht sei deshalb in einigen Fächern sehr wohl sinnvoll und werde mit großem Erfolg u.a auch im Sport bereits an Bremer Schulen umgesetzt.

Das Problem wird sich möglicherweise bald nicht mehr so elegant lösen lassen. Kappel erklärt, daß die Differenzierung nach Geschlecht in der Oberstufe ein Ende haben wird. Kritisch wird es dann, weil Sportkurse in der Oberstufe bislang noch für die Abiturvoraussetzungen belegt werden müssen. Bis dahin hat aber möglicherweise die Behörde entschieden, wie sie mit dem Problem weiter umgehen will: Bislang wartet sie noch auf die schriftliche Urteilbegründung aus Berlin. mad