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Unsere Reformen haben keinen Preis

Wahlkampf mit der Politikverdrossenheit in Polen: Wer die Kommunisten nicht mag und die Reformen der letzten drei Jahre auch nicht, dem bleibt noch die „Konföderation Unabhängiges Polen“  ■ Aus Lubliniec Klaus Bachmann

„Die Lage in Praszka ist so gespannt, das müssen wir nicht noch mit anheizen“, begründet Dariusz Michalski die Kursänderung knapp. Über löchrige Landstraßen holpern wir zu fünft in einem PKW durch die Wälder im Südwesten Tschenstochaus bis zur Grenze der Woiwodschaft. Unser Ziel heißt Lubliniec, eine kleine Stadt mit 28.000 Einwohnern, die historisch gesehen schon zu Schlesien gehört. Dort sollen rund zwei Dutzend Aktivisten der „Konföderation Unabhängiges Polen“ (KPN) ausschwärmen und in allen Hochhausblocks an die Tür klopfen.

Guten Tag, wir sind von KPN, werden sie sagen, und möchten Sie für den morgigen Sonntag, 16 Uhr, in die Hauptschule Nr. 1 zu einem Treffen mit unserem Senatskandidaten Jerzy Tobianski einladen. Dann werden sie entschuldigend lächeln, der Störung wegen, und den verdutzten Bewohnern das Wahlprogramm, die Visitenkarte des Kandidaten und einen Handzettel zum morgigen Treffen überreichen. Die Wahlkampfleitung in Warschau hofft, bis zu den Wahlen am 19. September alle Städte Polens abgrasen zu können.

„Zeugen Moczulskis“ nennen ihre Gegner die KPN-Aktivisten spöttisch. An diesem Wochenende war eine Aktion in Praszka, westlich von Tschenstochau geplant. Doch exakt eine Woche zuvor hatte dort Andrzej Lepper, Chef der radikalen Bauernselbstverteidigung, eine „Aktion“ angesagt, die etwas aus den Fugen geriet: Mehrere hundert aufgebrachte Bürger und Bauern belagerten und erstürmten das Rathaus von Praszka, zwangen den behinderten Bürgermeister unter Gewaltandrohung zum Rücktritt und karrten ihn dann mit einem Schubkarren aus dem Amtsgebäude.

Die Polizei schritt nicht ein, was dem örtlichen Polizeichef inzwischen den Job kostete und dem Kommandanten in Tschenstochau ein Ermittlungsverfahren einbrachte. Für die nächsten Tage hat Lepper nun die Okkupation des Rathauses, der Woiwode (Bezirkspräfekt) dagegen Polizeiverstärkung angekündigt.

Ganz entgegen ihrem Ruf, soziale Konflikte eher anzuheizen als zu besänftigen, hat die KPN- Zentrale in Tschenstochau daraufhin beschlossen, ihre Aktion ins friedliche Lubliniec zu verlegen. Um 10 Uhr dreißig am Samstag schwärmen die Werber aus in die Wohnburgen der Stadt. Die Mannschaft ist recht gemischt, Schüler und Studenten sind ebenso dabei wie Rentner und Hausfrauen. Dariusz ist schon seit Jahren bei KPN, Andrzej ist über die „Schützen“, die paramilitärische – aber angeblich apolitische – Jugendorganisation der Partei, zur Politik gekommen; sein Kollege, der „KPN-Uniform“, einen Strohhut mit Schild und schwarzem Band trägt, ist schon seit vier Jahren dabei.

Warum ausgerechnet diese Partei? „Weil die etwas tun für die Jugend“, Lagerfeuerromantik und Pfadfinderlager, Disziplin, Kameradschaft, heißt das oder einfach: „Weil wir diese Tradition in der Familie haben.“ KPN-Idol ist Polens Vorkriegsdiktator Jozef Pilsudski, was nicht heißt, daß die Partei etwas gegen die Demokratie hat. Auf Pilsudski hat KPN keinen Alleinanspruch, er gehört zum nationalen Erbe wie Kasimir der Große oder Nationaldichter Adam Mickiewicz. Was die Partei von anderen unterscheidet, ist ihre Kompromißlosigkeit, ihr Hang zum Militärischen und ihre strikte Hierarchie – und ab und zu ein wirtschaftspolitischer Einfall ihres Vorsitzenden Moczulski, der den Experten in Warschau den Schweiß auf die Stirn treibt.

„Die da oben“ bestrafen

Das macht die Partei zum idealen Ventil für die Unzufriedenheit und Politikverdrossenheit jener rund 40 Prozent der Wahlberechtigten, die ansonsten „die da oben“ dadurch zu „bestrafen“ pflegen, daß sie nicht zur Wahl gehen – wie man das früher mit den Kommunisten machte, die sich das dann auch wirklich zu Herzen nahmen.

Wer gegen die Reformen der letzten drei Jahre ist und trotzdem nicht kommunistisch wählen will, dem bleibt zur Zeit nur KPN. Die meisten Bewohner der Lubilinitzer Wohnblocks nehmen die KPN- Handzettel kommentarlos entgegen. „Im allgemeinen reagieren die Leute positiv“, meint Dariusz, „aber die meisten haben überhaupt keine Lust, über Politik zu reden. Sie sind böse auf alle Parteien und alle Politiker.“ Die Nachbartür öffnet sich, Dariusz sagt seinen Standardspruch auf und erhält prompt die Bestätigung dafür: „Ich geh überhaupt nicht wählen“, knurrt ein bärtiger Mitvierziger mit verkniffenem Gesichtsausdruck und nacktem Oberkörper, „ich hab die Schnauze voll. Für Politiker müßte man ein Krematorium einrichten, jawoll.“ Dariusz ist trotzdem zufrieden.

Im nächsten Block stoßen die „Zeugen Moczulskis“ auf die Konkurrenz. Eine junge Frau öffnet und erklärt selig lächelnd, sie werde nicht wählen gehen: „Wir Zeugen Jehovas halten uns von der Politik fern. Unsere Regierung ist nicht von dieser Welt. Und diese Welt wird ohnehin bald untergehen.“ Sie setzt zu einer längeren Predigt über den Armaggedon und die Notwendigkeit, Christus als den wahren Herrscher anzuerkennen an, doch das ist dem dritten Mann in unserer Gruppe sichtlich zu hoch. „Kann schon sein, daß die Welt untergeht“, meint er, „Westeuropa und Rußland vielleicht, aber Polen nicht. Dafür werden wir schon sorgen“, verkündet er selbstbewußt.

Der Star des folgenden Blocks ist ein dicker Lastwagenfahrer mit rotem Gesicht und nacktem Oberkörper, der auf die Nachricht, KPN sei da, seine jüngere Frau, die ihm gerade bis zur Gürtellinie reicht, aus dem Weg schiebt. Er ist Feuer und Flamme: „Klar komme ich morgen. Sicher wähl ich KPN, ich weiß ‘ne Menge davon.“ „Wenn Du eine Menge wüßtest, würdest Du nicht soviel fahren für die 2 Millionen (ca. 200 DM)“, kreischt die Frau und haut ihm mit der flachen Hand auf die Nase. Sie zetern eine ganze Weile hin und her, zum größten Vergnügen ihrer unübersehbaren Kinderschar, die sich um die Tür versammelt hat. Den Konföderierten fällt der Wahlkampf leicht. Allen Prognosen nach werden sie unter den vier stärksten Parteien sein, was beim derzeitigen Wahlrecht zu einer Verdoppelung ihrer Sitze führen dürfte. In der Woiwodschaft Tschenstochau erzielten sie vor zwei Jahren das drittbeste Ergebnis in Polen. Jeder Skandal, jeder Fehler der Regierung ist ein Plus für sie. KPN ist die älteste der am Wahlkampf beteiligten Parteien – und sie war schon immer dagegen: Gegen Rentenkürzungen, gegen Arbeitslosigkeit, gegen Korruption, gegen den „Ausverkauf Polens an Ausländer“, gegen den Kommunismus und jede bisherige Regierung.

Kostenlose Reformen

„Adieu Linke, Polen kehrt zurück“, lautet ihr Slogan, doch tatsächlich verkündet ihr Programm „unsere Reformen haben keinen Preis“. Im Parlament verlangte Leszek Moczulski, ihr in den siebziger Jahren vom Nationalkommunisten zum nationalen Antikommunisten konvertierter Parteichef, das Konzept eines „offenen Budgets“ – soll heißen, wenn Geld gebraucht wird, drucken wir's – und eine Verdreifachung der Renten. Jetzt ist die Forderung etwas abgemildert: Das Budgetdefizit soll verdoppelt werden. Doch dafür interessiert sich am Sonntag kaum jemand. Da muß Senatskandidat Jerzy Tobianski knapp vierzig Bürgern der Stadt, die seiner Einladung gefolgt sind, erst einmal erklären wer er ist. Tobianski kandidiert zum ersten Mal. Böse Zungen behaupten, die Partei habe ihn aufs Schild gehoben, weil der neureiche Geschäftsmann, Elektronik-Importeur, Gründer mehrer Privatradios und einer Entwicklungsagentur die Partei nach den letzten Wahlen vor der finanziellen Pleite gerettet habe.

Tobianski geißelt die Wirtschaftsaffären in der Woiwodschaft, die verfehlte Privatisierung, den Ausverkauf der polnischen Zementindustrie an ausländische Konzerne und die Politik von Außenminister Skubiszewski. „Wir haben bei den Verhandlungen mit Deutschland unsere Interessen verkauft“, kritisiert er, „die 100 Millionen Mark gehen in unsere Grenzsicherung, dienen also deutschen und nicht polnischen Interessen.“ Solche Äußerungen sind in Lubliniec nicht unbedingt populär, denn hier beginnt Westoberschlesien und damit das Einflußgebiet der deutschen Minderheit.

Tobianskis Sekundant, ein Tschenstochauer Aktivist mit längerer Parteierfahrung, weist auch gleich darauf hin, daß KPN im Sejm für Wahlprivilegien für die nationalen Minderheiten gestimmt hat, „obwohl das gar nicht in unserem Interesse lag.“ „Es gibt in Polen kein Minderheitenproblem“, verkündet Tobianski, „wir stehen auf dem Standpunkt, daß wir unsere Minderheiten so behandeln, wie unsere Polen im Ausland behandelt werden.“

Doch die Anwesenden treibt inzwischen schon eine andere Sorge um: „Was könnt Ihr tun, um diesen Präsidenten abzuwählen, der uns lächerlich macht“, will ein Zuhörer wissen. Der Saal brummt Zustimmung. Tobianski sagt, daß der ja immerhin demokratisch gewählt sei – „von 30 Prozent der Bevölkerung“, wird er unterbrochen – und ihm nun Respekt gebühre.

„Was tut ihr für die Arbeiter“, will ein älterer Arbeiter mit ausgemergeltem Körper und hochrotem Kopf wissen, der sich für seinen Auftritt offenbar kräftig Mut angetrunken hat, „was ist mit uns? Gehen wir in die Sklaverei oder sollen wir zur deutschen Minderheit gehen, die anfängt, uns hier rumzukommandieren?“ Besonders auf den Geist geht ihm, daß „die, die früher schon das sagen gehabt haben, jetzt unsere Fabriken kaufen und uns rausschmeißen. Die, die früher die Macht hatten, haben sie jetzt wieder.“ Tobianski, der zugibt, mit Solidarnosc und der Opposition nichts zu tun gehabt zu haben, stimmt ihm zu.

Niemandem im Saal fällt auf, daß man ihn auch ganz gut zu jenen rechnen könnte, “die früher das Sagen hatten und es heute wieder haben.“ Immerhin gründete er seine erste Firma 1982, in dem Jahr, als die freie Gewerkschaft Solidarnosc nach der Verhängung des Kriegsrechts verboten wurde.

Nur einem alten Mann scheint es seltsam vorzukommen, daß ein Privatunternehmer gegen die Privatisierung wettert: Wie er es denn mit der Fraktionsdisziplin halten werde, sei er erst einmal gewählt? Immerhin kenne man von den letzten Jahren noch den Obersten Pawelec, ebenfalls KPN, der jetzt für die „Bauernselbstverteidigung“ kandidiere. Tobianski distanziert sich energisch von Pawelec und erklärt, wie jeder KPN-Kandidat werde auch er eine undatierte Rücktrittserklärung unterzeichnen, die die Parteiführung bei einem Bruch der Fraktionsdisziplin nur ans Parlamentspräsidium weiterreichen müsse, um ihn zum Rücktritt zu zwingen.

Als hierarchisch organisierte Kaderpartei hat KPN ihre Kandidaten auch gleich noch zu hohen Konventionalstrafen für diesen Fall verpflichtet. Alle Abgeordneten, die in irgendeiner Weise mit dem Gesetz in Konflikt gekommen seien, habe man ausgeschlossen, verkündet Tobianskis Sekundant. Die Botschaft ist klar: Eine Partei der Saubermänner, wählbar für alle, die von 40 Jahren Kommunismus und den drei Jahren danach die Nase voll haben, radikal, national, aber nicht so unberechenbar wie die wildgewordenen Bauern von Praszka.

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