piwik no script img

Japan, Europa, etc.Ein Fächer voller Möglichkeiten

■ Japans Kollektivismus, als Accessoire in Europa angekommen

Die Kunst Afrikas darzustellen, meinte der Leiter der vergangenen Documenta, Jan Hoet, sei nahezu unmöglich. Achille Bonito Oliva, Chef der Biennale der bildenden Künste in Venedig, war anderer Meinung. Aber seine persönliche Auswahl afrikanischer Künstler blieb ohne jede Resonanz. Das Jahrhundert der „Negerplastik“: Die europäische Moderne hat sich nicht umsonst die Formen einer kultischen Praxis einverleibt, während die Landkarten des Unbewußten vermessen wurden. Wo „Es“ war, sollte „Ich“ werden.

Unter dem Primat der Modernisierung der Welt werden Nicht- Staaten – Stämme, Steppen – zu Provinzen, der Rohstoffspekulation unterworfen, und wenn nicht, dann Ferienparadies. Die sozialistische Industrialisierung hat versucht, diese Dynamik aufzuheben; nun sind die sozialistischen Stämme und Steppen selbst zurückgefallen in die Phase der Kolonialisierung.

Dem Umstand, daß die Moderne sich Kollektives einverleibt und es individuell zuweist – als Anspruch, als Besitz, als „Technologie des Selbst“ –, ist Japan entgangen. Japan ist nicht Alte Welt und nicht Neue Welt, nicht Erste und nicht Dritte Welt. Es ist eine zutiefst rituelle Gesellschaft, aber was Japan an Kollektivem zeitweise mit tödlicher Entschlossenheit verteidigt und in für „Westler“ bis heute unbegreiflichem Maß bewahrt hat, ist eben nicht Teil des vermeintlich Primitiven. Picasso hat die „Negerplastik“ übersetzt in lateinische Schrift; der „Japonismus“ ist eingemündet in einen weitgehend namenlosen „Jugendstil“. Der Kollektivismus Japans ist gewissermaßen als feudales Accessoire nach Europa gekommen. Das heißt umgekehrt für Japan: im Eroberungsfeldzug westlichen Bewußtseins gegen die Mächte des Unbewußten ist aus dem japanischen Programm so gut wie nichts gelöscht worden.

Der Spielraum der Japaner, westliche Güter, Ideen und Strukturen anzunehmen, zu verwerfen oder zu verändern, ist im Jahrhundert der Kolonialisierung größer gewesen als der anderer Völker. Sie sind im Zuge der Industrialisierung als Meister(innen) des Artefaktischen auf den Plan getreten; Japan ist kein Rohstoffreservat, und ist deshalb auch nie als solches behandelt worden. Es ist die Schweiz Asiens, die Leistung und Wirkung liegt im Sozialen, in der Abstraktion.

Als japanische Ultrareiche und Konzerne im vergangenen Jahrzehnt begannen, Bilder der „klassischen Moderne“ zu gänzlich unvernünftigen Weltmarktpreisen aufzukaufen, fiel auf Japan das Zwielicht des Provinziellen: Schlitzäugige Raffer, wurde erklärt, versuchten sich am Überbau des Kulturellen zu bereichern, weil der Unterbau fast am Platzen wäre. Was nicht gesehen wurde: der Modus der Käuflichkeit ist der Kultur individueller Autorschaft eingeschrieben, also auch ihr Ausverkauf.

Die Ausstellung „Japan und Europa 1543-1929“ zeigt: es gibt in Japan so etwas wie eine innere Diplomatie, die den Input des Westens zum Gegenstand hat. Dort endet auch die Hegemonie des Subjekts, wie der Westen sie gültig abgesteckt zu haben glaubte.

Der Streit um die Vorzüge westlicher Perspektivik und westlicher Medizin gehört seit Jahrhunderten zu den Starkstromfeldern der Erneuerung. Die Tatsache, daß eine extrem ausdifferenzierte Tradition zur Verfügung stand, die Impulse des Westens aufzufangen und zu deuten, hat Japan einen Vorteil gebracht, der es in der Welt einzigartig gemacht hat – führend, muß man wohl sagen. Dieses Land ist so westlich geworden, wie es gerade sein wollte. Diese Qualität ist Ausdruck seiner Autonomie. An Japan erkennt der Westen schmerzlich, was es bedeutet, die Potentiale des Kollektiven ins Reich des Unbewußten verwiesen zu haben, um die frei werdenden Gewichte dem pursuit of happiness des Einzelnen zu überantworten. Japan leidet an einem Konflikt, den wir nicht einmal generieren könnten, wenn wir wollten. Das heißt, das Land im Osten hat noch Optionen, und das ist es wohl, worum wir es beneiden. Ulf Erdmann Ziegler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen