„Wir sind alle Individualisten“

Im Gegensatz zu Düsseldorf gibt es in Berlin keine große japanische Community / Knapp 1.200 Japaner haben ihren ersten Wohnsitz hier / Nur loser und informeller Zusammenhalt  ■ Von Anita Kugler

Wenn heute nachmittag Kaiser Akihito und Kaiserin Michiko durch das Brandenburger Tor schreiten, werden nur wenige japanische Kinder die weißen Fahnen mit dem roten Punkt schwenken oder Chrysanthemen überreichen. Berlin ist nicht Düsseldorf, hier gibt es keine große Community mit einer facettenreichen Infrastruktur. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes haben nur 1.157 Japaner ihren ersten Wohnsitz in der Stadt, dazu kommen noch etwa zweihundert Studenten. Seit April gibt es zwar auf der Wannseeinsel Sandwerder eine japanische Privatschule, die besuchen allerdings nur 15 Kinder. Etwa genauso viele gehen in die „Japanische Ergänzungsschule“ in Charlottenburg, dort wird zweimal pro Woche die japanische Schrift und die Geschichte gelehrt. Und in Alt-Schmöckwitz, im ehemaligen Ferienhaus des ehemaligen FDGB-Chefs Harry Tisch, existiert seit vorigem Jahr eine Filiale der privaten Elitehochschule, der „Teikyo University“.

Trotzdem: Die Verbindungen untereinander sind lose, es gibt kein Nachrichtenblatt, keinen festen geselligen Treffpunkt, geschweige denn eine Teestube, in der die uralten Zeremonien geübt werden. „Wir sind alle Individualisten“, sagt der Buchhändler Akira Yamashina, „man telefoniert sich nach Bedarf zusammen“, trifft sich in einem der etwa 35 japanischen Restaurants oder besucht die Veranstaltungen der Deutsch-Japanischen Gesellschaft. Die gibt es seit 1929, hat ihren Sitz in der ehemaligen Botschaft im Tiergarten und etwa 600 Mitglieder aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft. Die meisten Mitglieder sind Deutsche.

Akira Yamashina gehört nicht direkt zu diesem Kreis, obwohl er schon fast Altberliner ist. Vor 20 Jahren kam er als Student in die Mauerstadt und ist seit zehn Jahren Besitzer des kleinen japanischen Buchladens in der Charlottenburger Pestalozzistraße. Von seinen Landsleuten alleine könnte er nicht leben, sagt er und zuckt, als ob er sich dafür entschuldigen wollte, mit den Schultern. „Ihre Einkäufe reichen leider nicht einmal, um die Elektrizität zu bezahlen.“ Am häufigsten verkauft er die „Manga“, das sind comicartige Geschichten, die in Japan eine jahrhundertelange Tradition haben. Auch das berühmte erotische „Kopfkissenbuch der dreifachen Seelenverwandtschaft“, Liebeshoroskope aus dem 17. Jahrhundert.

Der Buchladen verkauft die leinengebundende Ausgabe ab und zu an japanbesessene Deutsche. Von denen gibt es eine ganze Menge in der Stadt. Beispielsweise Michael Bühne, Künstler. Er arbeitet an einem John-Cage-Projekt, der 1989 den Kunstpreis von Tokio erhielt, kocht ausschließlich japanisch, trägt japanische Designerklamotten, die in Berlin im Spezialladen Harvey am Kurfürstendamm für teures Geld zu kaufen sind, und schreibt seine Privatpost mit japanischen Tuschfedern auf japanischem Briefpapier.

Ohne deutsche Kundschaft könnte auch der japanische Supermarkt Daruma in der Uhlandstraße nicht leben. Ostasiatische Lebensmittel sind zwar in vielen Läden der Stadt zu haben, aber die spezifischen Gewürze für den gesäuerten Sushi und x verschiedene Sorten von Seetang gibt es eben nur dort. Richtige Sushi-Köche brauchen mindestens fünf Jahre, um all die Geheimnisse der japanischen Küche zu lernen, sagt der Besitzer Mamoru Mori, genau wie der Buchhändler seit 20 Jahren Wahlberliner. Bei Daruma kauft auch der Koch des berühmtesten japanischen Restaurants, des Daitokai im Europa-Center, ein. Wer dort essen will, braucht viel Zeit und sehr viel Geld. Dafür wird auch ein Stück „Erlebnisgastronomie“ geboten. Der Koch veranstaltet beim Zerschneiden der Zutaten eine Show. Messer wirbeln hinter seinem Rücken und fliegen über die Schulter millimetergenau in Fisch oder Fleisch. Den Fisch für das Sashimi, Japans berühmtes Gericht, kommt allerdings nicht aus einem japanischen Kaufhaus, sondern aus dem KaDeWe.