piwik no script img

Briketts für den Minister

Der sächsische Wirtschaftsminister besucht die sterbende Bergarbeiterstadt Laubusch in der Lausitz  ■ Von Detlef Krell

Mitten auf der Kreuzung stehen sie. Um die zehn Leute, Männer und Frauen. Sie tragen grüne Umhänge, darauf steht „Betriebsrat“ und „Ordner“. Sie geben Flugblätter in die Autos und behindern den Verkehr. Im Linienbus weiß eine ältere Frau: „Wegen Laubusch. Da soll doch die Brikettfabrik zugemacht werden.“

Hier treffen die Straßen von Hoyerswerda, Lauta, Schwarzkollm und Laubusch aufeinander. Gleich um die Ecke liegt die Grenze vom Sächsischen ins Brandenburgische. Kiefern und Birken, Kohle und Klinker bestimmen das Bild dieser herben Landschaft. Auf einem schlammigen Rummelplatz nahe der Kreuzung stehen halbfertige Baracken, und es scheint nicht ganz klar, ob sie den Anfang oder das Ende des ausgeschilderten „Gewerbegebietes“ darstellen.

Laubusch liegt im Wald. Die dörfliche Hauptstraße wird von prächtigen Bäumen gesäumt. Sogar die rostroten Schlote der hundert Jahre alten Brikettfabrik tarnen sich hinter dem Blätterdickicht.

Von einem Baum zum anderen, quer über die Straße, wehen alle paar Meter grüne Transparente. Die Bergarbeiterstadt grüßt den Minister. Kajo Schommer (CDU) hat sich angekündigt, der Mann aus Dresden, der heute sagen soll, wie es denn hier weitergeht, wenn das letzte Brikett gepreßt, verkauft und verheizt ist.

Still liegt die Fabrik, als wäre Sonntag. Arbeiter postieren vor das imposante Verwaltungsgebäude einen Kran. Sie hängen eine schwarze Kiste an, die aussieht wie ein Brikett. Oder wie ein Sarg. Eines der Transparente spricht vom „zweiten Bischofferode“. Laubusch lebt von seiner Brikettfabrik. 850 Arbeitsplätze bietet sie noch. Doch in der „Brifa“ wird Kurzarbeit geschoben. Im Herbst geht dort der Ofen aus. Es ist die letzte Brikettfabrik der Lausitzer Braunkohle AG (Laubag) auf sächsischem Territorium. Von einst neun Fabriken bleiben dann noch zwei, in Schwarze Pumpe, genau auf der brandenburgischen Grenze, und in Lauchhammer.

Im Büro des Betriebsrates hocken Journalisten. Ulrich Freese, Bezirksleiter Lausitz der IG Bergbau und Energie, stopft bedächtig seine Pfeife und diktiert: „Wir haben hier keine Bischofferoder Situation.“ An der Stillegung der Brifa habe es schon lange keine Zweifel mehr gegeben. 1996 sollte Schluß sein. Aber nun sei der Markt schneller zusammengebrochen als angenommen. Kommunen stellen ihre Wärmeversorgung auf Gas oder Öl um; Betriebe gehen entweder, ein oder sie investieren ebenfalls in alternative Anlagen.

Im Regal steht ein Aktenordner mit der Aufschrift: „Kampf um den Industriestandort Laubusch. Band I“. Klaus Koch, der Betriebsrat, formuliert die Forderungen an die Laubag: Stillegung erst, wenn Alternativen für die Beschäftigung der Leute stehen. Vorzeitige Sanierung eines Tagebau-Restlochs am Rande von Laubusch. Die Arbeit liege nämlich vor der Haustür, und sie könnte erledigt werden, bis „die Investitionen greifen“. Der Betriebsrat spricht von der „Brückenfunktion“ eines solchen Modells und davon, daß die Kumpels „nicht blauäugig“ seien. Das gefällt den Reportern und der Gewerkschaft. „Wir kämpfen nicht gegen irgendeine andere Brikettfabrik“, kommt Ulrich Freese noch mal auf „Bischofferode“ zu sprechen. Er erwarte von der Regierung in Dresden, daß sie „diesen Industriestandort in Deutschland und in der Welt anbietet“.

Draußen auf der Straße ist es inzwischen mit der Ruhe vorbei. Von überall her kommen Leute zum Werktor. Die Gewerkschaft verteilt an die Kinder Luftballons und an die Großen Briketts. „Begrüßungs-, äh, Protestbriketts“, erklärt jemand. In die mattglänzende Kohle sind die Worte: „Rettet die Arbeit in Laubusch“ geprägt worden.

Beiderseits der Straße drängen sich die Menschen im Spalier. Mehr als 2.000 Leute könnten es schon sein. Es geht auf 11 Uhr zu, der Minister müßte bald erscheinen. Etwas abseits flucht eine Frau im besten Hochdeutsch. Christina Buder ist stellvertretende Bürgermeisterin des SPD-regierten Grenzstädtchens. „Wer hat denn hier noch Arbeit?“ fragt sie und gibt die Antwort gleich selber: „Jeden Tag kommen zwanzig, dreißig Frauen zu mir, in der Hoffnung, ich könnte ihnen irgendwie helfen, mit ABM oder sonstwie. Die Region ist schon so gut wie tot. Investoren stoßen sich an drei Kilometern Weg bis zur Autobahn.“

Er kommt. Erst die Polizei; dann fährt eine Karawane schwarzer VIP-Karossen das Laubuscher Spalier ab. Eine Tür öffnet sich, der Minister erscheint. Laubag- Chef Dieter Schwirten, ein quirliger Riese, geht auf Schommer zu; Gewerkschafter und Betriebsrat sind schon da. Hände schütteln sich. Schwirten meint: „Erst mal die Einwohnergeschichte, das ist besser, als wenn die Leute noch warten müssen.“

Der Landrat stellt sich vor. Redet von Hoffnung für die Region. Schommer erzählt von seiner Reise. Eben war er in Wittichenau, einer CDU-geführten Kleinstadt ganz in der Nähe. „Die hatten ein Konzept. Bei der Umsetzung habe ich ihnen geholfen. So müßt ihr das hier auch machen.“ Die Laubuscher stehen in einer dichten Traube um die plaudernde Prominenz.

Jetzt kommt der Bürgermeister zu Wort: „Ich hoffe, Sie haben viel im Gepäck, nicht nur etwas“, begrüßt er den Minister. „Dafür müssen auch Sie was tun“, gibt der zurück. „Ideen haben wir genug“, faucht der Kommunalpolitiker. Gewerkschafter Freese nimmt ihn beschwichtigend zur Seite. Schommers Stab sucht sich schon seinen Weg zur Tribüne, einem alten Laster.

Die DemonstrantInnen portionieren gewissenhaft ihren Beifall. Vereinzeltes Klatsch-Klatsch für den Laubag-Chef, keine Hand für den Minister, dürres Rascheln für den Gewerkschafter, kräftigen Applaus für Bürgermeister und Betriebsrat. Den Kanzler hatten sie auch eingeladen, der läßt sich entschuldigen. „Sonst hätten wir Tomaten mitgebracht“, meint ein Arbeiter trocken.

Bürgermeister Otto Görke darf zuerst sprechen. Er klagt Konzepte für die Region Lausitz ein, wirft den regierenden Politikern vor, „auf bestimmte Stimmen“ nicht gehört zu haben, welche „die Folgen der Einheit wesentlich besser eingeschätzt hatten“. Dann wird er persönlich: „Wenn Sie, Herr Schommer, nach den nächsten Wahlen nicht mehr Minister sein sollten, dann ziehen Sie sich in eine sichere Existenz zurück.“

Ulrich Freese bittet in seiner Rede, „nicht die Falschen für die Fehlentwicklung verantwortlich zu machen“. Schuld sei letztlich jeder, der sich statt Briketts aus dem Keller das Gas oder Öl aus dem Rohr kommen lasse. „Verräter“, tönt es zum Laster.

Der Rheinländer Dieter Schwirten als Vorstandsvorsitzender weiß, daß er „schlechte Karten“ hat. Das lassen ihn die Laubuscher auch deutlich spüren. Er verspricht: „Wir werden die Arbeit verteilen. Sie müssen nur hingehen.“ Umschulung hier und 24 Arbeitsplätze da, so komme einiges zusammen. Die Sanierung des alten Tagebaus werde von 1998 auf 1994 vorgezogen. Das bringe bis zu 150 Arbeitsplätze für sechs Jahre. Ja, der Manager hat sogar einen Traum an diesem selten sonnigen Tag: Paddelboote werden auf dem neuen See kreuzen. Laubusch als Ferienparadies. Für 70 bis 80 Prozent der Belegschaft könnte bald eine Arbeit gefunden werden, faßt Schwirten zusammen. Kommentar von unten: „Können Sie rechnen?“

Endlich ist Kajo Schommer dran. Zunächst pariert er die kessen Sticheleien des Bürgermeisters. Nein, er kehre in kein sicheres Nest zurück, er habe sich für Sachsen entschieden. Im übrigen sei hier kein Wahlkampf. Und nun packt er seine Gaben aus.

Er verdonnert den neben ihm stehenden Chef des Oberbergamtes dazu, die Genehmigung für das Sanierungsprojekt Tagebau flott durchzuziehen. Er kündigt an, daß eine nach dem Paragraphen 249h finanzierte „zielorientierte“ ABS- Gesellschaft gegründet werde. Schommer sagt nicht, daß das Geld für diese Sonderprojekte nur zu einem Drittel von der Bundesanstalt für Arbeit kommt, spielt die Verantwortung für die ABS jedoch locker der Laubag zu. Bei dieser Gelegenheit lüpft er erstmals den Mantel des Schweigens um den Schließungstermin der Brifa: Ende Oktober werde der Laubag-Aufsichtsrat das Aus beschließen. Die Bergleute kommen aus dem Staunen nicht heraus. Als ob ihm diese Idee soeben eingeflogen wäre, verkündet Schommer die Gründung einer „Aktionsgruppe Zukunft Laubusch“. Seinem im Pulk mitreisenden Energie-Experten setzt der Minister den Hut auf. Eines der ersten Themen solle lauten: „Die Frauenarbeitslosigkeit“. Schließlich rät Schommer: „mobil sein“. Auch mal ein Stück länger bis zur Arbeit fahren. Wie nebenbei streut er die Behauptung nach: „Jeder, der Arbeit finden will, findet auch eine!“

Damit hat er sich erst mal zaghaften Beifall eingehandelt und der Kundgebung einen optimistischen Ausklang gegeben. „Hört sich ganz gut an“, überlegt die Brikettiererin Vera Günter. Skeptisch ist die dennoch. „Wenn überhaupt jemand Arbeit kriegt, dann die Männer“, vermutet sie. „Die Gegend wird aussterben. Umschulung? Wozu denn? Das mußt du auch noch selber bezahlen, und dann kriegst du trotzdem nichts.“

Ein untersetzter, kräftiger Mann mit Vollbart und Filzhut stürmt heran. Auf seinem Bauch spannt sich ein T-Shirt mit den Worten: „Bischofferode ist überall“. Meister Dieter Decker verteilt Zettel mit seiner Rede, die er angeblich nicht halten durfte. „Das hättest du mit der Gewerkschaft abstimmen müssen“, sei ihm an der Tribüne gesagt worden. Er wollte darüber sprechen, daß Laubusch „gute Briketts und Staub produzieren“ könne und daß beides bei den Kunden gefragt sei. Von Großtransportern wollte er erzählen, die in Laubusch Briketts laden wollten und statt dessen nach Schwarze Pumpe geschickt wurden. Warum die Landesregierung Fördermittel für die Umstellung der Heizsysteme von Kohle auf Gas oder Öl bereitstelle, wollte er fragen. Mit „Glück unter!“ statt „Glück auf!“ wollte er seine Rede beenden.

Die DemonstrantInnen gehen nach Hause, die Prominenz läßt sich in das Kulturhaus chauffieren. Schommer verheißt seinem Troß „ein einfaches Essen“ und gibt mit der Laubag-Führung im Wechsel noch einige Statements in die Journalistenblöcke. Der frischernannte Chef der Aktionsgruppe kommt gleich hart zur Sache und füllt die Reihen auf. Landrat und Bürgermeister, Betriebsrat und Manager sollen mitmachen, am 7. Oktober erste Beratung. Bitte erst am Nachmittag, bittet Schwirten.

Die Reisegruppe des Ministers für Wirtschaft und Arbeit hat heute noch ein pralles Programm. Ein gutgehendes Betonwerk und eine erfolgreiche Stahlbaufirma, ein Trip in den Tagebau und ein Rundblick auf das Gaswerk an der Landesgrenze. Am Abend werden in Laubusch die Familien vor den Fernsehern sitzen und mal schauen, wie sie die Prominenz empfangen haben. Das Ortsfernsehen war live dabei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen