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Beamtin nachts im Dienstzimmer gewürgt

■ Prozeß um sexuelle Nötigung im Knast: Dienstpraxis steht zur Debatte

Vor dem Landgericht begann gestern der Prozeß gegen einen 49jährigen Gefangenen aus Tegel, der eine Justizbeamtin zu sexuellen Handlungen genötigt, gewürgt und mit dem Tode bedroht haben soll. Die Beamtin hatte am 19. August allein Nachtdienst auf einer „Langstrafer“-Station. Weil der Häftling Manfred Q. eine Kopfschmerztablette verlangte, hatte sie diesen aus der Zelle gelassen. Im Dienstzimmer, so die Anklage, habe der Gefangene die Frau gewürgt, ihr die Kleider vom Leib gerissen und sie mit Küssen bedrängt.

Einen vergleichbaren Fall hat es in Tegel noch nicht gegeben. Allerdings sind dort Frauen erst seit 1991 im allgemeinen Vollzugsdienst tätig. Nach dem Bekanntwerden des Vorfalls hatte Justizsprecherin Fölster seinerzeit darauf hingewiesen, die Beamtin habe gegen die Vorschriften gehandelt: Bevor ein Beamter oder eine Beamtin nachts eine Zellentür öffne, müsse von einer anderen Station ein Kollege gerufen werden. Dem Prozeßverlauf zufolge scheint die Praxis in Tegel anders zu sein.

Der Angeklagte Manfred Q. machte gestern keine Aussage. Der wegen Raubmordes zu lebenslanger Haft Verurteilte sitzt seit annähernd 20 Jahren in Tegel ein. Aus dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen geht hervor, daß Q. zum Tatzeitpunkt zum ersten Mal ernsthafte Chancen hatte, endlich in den offenen Vollzug zu kommen. Sexuelle Störungen habe er bei dem Gefangenen nicht entdeckt. Q., der wie alle Langstrafer unter fehlenden sexuellen Kontakten leide, versuche bewußt, stimulierende Situationen zu vermeiden.

Die 44jährige betroffene Justizbeamtin Annegret B. erschien gestern nicht als Zeugin vor Gericht. Nach einem halbjährigen Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus leidet sie nach Angaben ihres Arztes immer noch als Folge der Tat an extremen Angstzuständen und wage sich nicht alleine auf die Straße. Das Gericht ließ es deshalb bei der Verlesung des Protokolls der polizeilichen Aussage der Frau bewenden. Darin erklärt sie, der Insasse Q. habe bei allen Beamten großes Vertrauen genossen und sei stets hilfsbereit gewesen. Sie sei deshalb überhaupt nicht mißtrauisch gewesen, als sie ihn aus seiner Zelle entließ. Im Gegenteil habe sie gehofft, er könne ihr helfen, eine kaputte Sicherung zu reparieren. „Mir war klar, daß ich damit gegen die Dienstanweisung handelte, aber wenn ich im Haus III angerufen hätte, damit jemand rüberkommt, hätte es wieder geheißen: Frauen können noch nicht einmal eine Sicherung wechseln.“ Als Frau habe man doch ein gewisses Selbstwertgefühl. Die Kollegen hätten für derartige Hilferufe kein Verständnis und begründeten dies damit: Eine Beamtin sei schließlich „auch eine Vollwertkraft“. Der Gefangene habe sie so gewürgt, daß „ich schon ein Brausen in den Ohren hörte und meine Augen heraustraten. Ich dachte, es ist aus.“

Die Verteidigerin des Angeklagten, Barbara Dietl – wohlgemerkt eine Frau – forderte, die Glaubwürdigkeit der Zeugin zu untersuchen. Die Begründung verschlug den Zuhörern dann erst recht die Sprache: Sie habe vom Psychiater der Betroffenen erfahren, so Dietl, daß Annegret B. „eine gleichgeschlechtliche Lebensweise präferiert“ und mit einer Partnerin zusammenlebe. Der Prozeß wird fortgesetzt. plu

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