piwik no script img

„Kein Anspruch auf Familienleben“

■ Gemischtnationale Flüchtlinge auseinandergerissen

Berlin (taz) – Ana K. kommt aus Bosnien-Herzegowina, und Ana K. soll wieder gehen. Ihre beiden kleinen Töchter Nermina und Emina werden erneut Abschied nehmen müssen vom Vater. Ihr Vater ist Bosnier und vor einem Jahr nach Deutschland geflüchtet. Ana K. und die beiden Kinder kamen Monate später – mit einem kroatischen Paß. Die unterschiedlichen Pässe bedeuten das vorläufige Ende eines Zusammenlebens einer Flüchtlingsfamilie in Deutschland. Als bosnischer Staatsbürger ist Herr K. durch einen generellen Abschiebsstopp geschützt. Er kann bleiben. Als kroatische Staatsbürgerinnen, die nach dem Stichtag 22.5.92 eingereist sind, werden Frau K. und ihre Töchter ausgewiesen. Bis zum 27. September, so verlangt die Ausländerbehörde der Stadt Wolfsburg, müssen sie Deutschland verlassen haben. „Diese Entscheidung“, so heißt es lakonisch in dem Beschluß der Behörde, „trifft sie nicht ungleich härter als andere betroffene Personen in gleicher oder ähnlicher Situation. In Sondersituationen wie z.B. einem Bürgerkrieg ist die Trennung von Familien keine Seltenheit und eine Konsequenz aus den Kriegswirren und den politischen Entscheidungen kriegsführender Parteien.“ Und weiter im Text: „Ein geduldeter Ausländer kann nicht darauf vertrauen, sein Familienleben im Bundesgebiet führen zu dürfen.“

Was mit Familie K. geschieht, folgt deutschen Rechtsvorschriften, auf die sich die Innenminister von Bund und Ländern geeinigt haben. Es passiert unzähligen Flüchtlingsfamilien aus dem ehemaligen Jugoslawien, die gerade wegen der verschiedenen Nationalität der Ehepartner in ihren Heimatregionen besonders gefährdet sind. Die Probleme mit der gemischtnationalen Herkunft hören auch im Exilland nicht auf. Die unterschiedlichen Pässe schaffen für ein und dieselbe Familie einen unterschiedlichen Aufenthaltsstatus. Dabei ist der Paß meist nur eine Formalie, der nichts darüber aussagt, wo die Familien zuvor ihren tatsächlichen Lebensmittelpunkt hatten. „Was zählt“, so der Sprecher des Bundesinnenministeriums, „ist nicht die Zuordnung zu einer Ethnie, sondern die Zugehörigkeit zu einem Staat, und die zeigt sich an dem Paß.“

Besonders realitätsfremd wird diese formale Zuordnung bei Kroaten aus Bosnien-Herzegowina. Sie können ebensowenig in ihre umkämpften Städte und Dörfer zurück wie ihre bosnischen Nachbarn oder Ehepartner. Dennoch verlangt die derzeitige Regelung ihre Abschiebung. Der kroatische Paß ist für viele Flüchtlinge aus Bosnien so zu einer Falle geworden. Dabei war er bis vor kurzem noch heiß begehrt. Denn nur mit einem kroatischen Stempel gelang die Flucht in die Bundesrepublik ohne ein Visum. Als bosnische Staatsbürger hingegen hätten sie nur mit einer Einladung von Freunden und Verwandten über die deutsche Grenze gedurft. Was allein Mittel zum Zweck war, entpuppt sich nun als Bumerang. Unter Berufung auf das Bundesinnenministerium hat etwa das baden- württembergische Innenministerium angeordnet, daß unabhängig vom tatsächlichen Herkunftsland Bosnien-Herzegowina, „diese Inhaber von kroatischen Reisepässen als kroatische Staatsangehörige zu behandeln sind mit der Folge, daß ihnen nach dem Bezugserlaß nur dann eine Duldung erteilt werden darf, wenn sie vor dem 22.5.92 in das Bundesgebiet eingereist sind.“

Wo und wie diese Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina dann in Kroatien leben sollen, ist völlig unklar, oftmals haben sie nie zuvor dort gewohnt. Vera Gaserow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen