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Kein Geld für Beweise und Zeugenbefragung

■ Kriegsverbrecher-Tribunal für Ex-Jugoslawien nimmt Gestalt an / Unklar bleibt die Finanzierung – und wie die elf Richter der Täter habhaft werden könnten

Genf (taz) – Mit der Wahl von elf RichterInnen hat die UNO-Generalversammlung gestern das „Internationale Tribunal zur Verfolgung von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht in Ex-Jugoslawien“ etabliert. Das mit den Resolutionen 808 und 827 des Sicherheitsrates im Frühjahr beschlossene erste derartige Tribunal seit der UN-Gründung soll seine Arbeit spätestens zum 15. November in Den Haag aufnehmen. Untersucht werden „ethnische Säuberungen“, (Massen-)Vergewaltigungen, Morde, Folter und andere Verbrechen, die seit dem 1. Juni 1991 in Ex-Jugoslawien begangen wurden.

Aus insgesamt 41 eingegangen Richter-Vorschlägen wählte der Sicherheitsrat 23 Namen aus, darunter nur zwei Frauen: Die Anwältin und seinerzeit erste schwarze Bundesrichterin von Texas, Gabrielle Kirk McDonald, sowie die Justizministerin von Costa Rica, Elizabeth Odio Benito. Daß McDonald in der Nacht zum Donnerstag von der UNO-Generalversammlung gewählt wurde und mit 137 Stimmen auch noch das beste Ergebnis erzielte, ist vor allem der intensiven Kampagne von Frauenrechtsorganisationen aus den USA und Westeuropa zu verdanken.

Seit fünf Wochen verschoben wird dagegen die Entscheidung, wer die Funktion des Chefanklägers übernehmen soll. Anfang August hatte UNO-Generalsekretär Butros Ghali um ein zunächst informelles Meinungsbild über drei Kandidaten gebeten, an erster Stelle über den US-Amerikaner ägyptischer Abstammung, M. Cherif Bassouni, Professor für Kriminalrecht in Chicago und Mitglied der fünfköpfigen „Karlshoven-Kommission“ der UNO, die seit sechs Monaten Beweise für Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina sammelt. Bei der internen Abstimmung Mitte August erhielt Bassouni die Stimmen der USA, Japans, Venezuelas, Marokkos, Pakistans, Dschibutis und der Kapverden. Er gilt als Kandidat, der als Chefankläger keine politischen Rücksichten nehmen würde – und auch Serbiens Präsident Slobodan Milošević sowie den bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić anklagen würde.

Von dem schottischen Generalstaatsanwalt John Duncan Lowe wird dagegen eine sehr viel zurückhaltendere Rolle erwartet. Für ihn stimmten Großbritannien, Frankreich, Rußland, China, Spanien, Neuseeland und Ungarn. Der ehemalige Generalstaatsanwalt Kenias, Amos Wako, erhielt lediglich die Stimme Brasiliens. Nachdem Ghali am 26. August trotz der Pattsituation zwischen Bassouni und Lowe den Amerikaner offiziell als seinen Kandidaten vorschlug, ist der Sicherheitsrat handlungsunfähig. Die Nichtwahl Bassounis wäre eine öffentliche Ohrfeige für den UNO-Generalsekretär.

Für das Tribunal wurde zudem bisher nur die bescheidene Summe von 30 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt. Da für Beweissammlung und Zeugenbefragungen nur eine Million vorgesehen ist, liegt der zuständigen Karlshoven-Kommission bisher nur sehr wenig beweiskräftiges Material vor. Inbesonders mangelt es an gerichtsverwertbaren Zeugenaussagen vergewaltigter Frauen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), dessen Delegierte vor Ort Gefangene in bosnischen Lagern erfaßt haben, verfügt nach Auskunft eines Sprechers der Genfer Zentrale nur über Beweise für „ein Dutzend Vergewaltigungsfälle“.

Die Genfer Zentrale des UNO- Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) hat nach Angaben eines Sprechers überhaupt keine Unterlagen. Dabei wurden sämtliche BosnierInnen, die seit Beginn des Krieges im April 92 im Ausland als Flüchtlinge aufgenommen wurden, zuvor von MitarbeiterInnen des UNHCR befragt. Im Genfer UNO-Gebäude fand gestern ein erstes Treffen von Frauengruppen aus Westeuropa statt, die Druck machen wollen, damit in den nächsten Monaten mehr Geld, Beweise und ZeugInnenaussagen beigebracht werden. Andreas Zumach

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