: Iris, Azalee und Lilie
Aspekte des deutsch-japanischen Kulturaustausches: Auszüge einer Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Japan und Europa 1543-1929“, gehalten ■ Von Makoto Ooka
Ursprünglich war Dejima (die Siedlung vor Nagasaki, die Red.) als Aufenthaltsort für portugiesische Kaufleute aufgeschüttet worden. Später untersagte die japanische Regierung der katholischen Kirche, sich weiter missionarisch zu betätigen, und verweigerte zugleich portugiesischen und spanischen Kaufleuten die Einreise, so daß schließlich nur noch Holländer und Chinesen Handel treiben durften. Dejima wurde in der Folge der Holländischen Ostindienkompanie zugeordnet und blieb über zweihundert Jahre lang einziger Hafen in Japan, der dem Überseehandel geöffnet war. In Anbetracht dieser Umstände wäre es nur zu verständlich gewesen, wenn sich das Handelsvolumen nach der Landesabschließung auf ein Minimum reduziert hätte. In Wirklichkeit trat das Gegenteil ein. Wenn man den Historikern Glauben schenken darf, so entwickelte sich der japanische Außenhandel sogar prächtig, und es heißt, Dejima habe von allen Handelsstationen, die Holland zu jener Zeit auch in anderen Städten Asiens unterhielt, den höchsten Umsatz erzielt.
Für die Japaner war der Außenhandel in Nagasaki besonders wichtig, denn durch dieses schmale Tor gelangten allerlei geistige und kulturelle Güter nach Japan, von Kenntnissen über Medizin, Pharmazie, Geographie, Naturgeschichte und Astronomie bis zu Kunstgegenständen, Kleidung und sogar Wein. Nagasaki wurde zu einer Art Mekka vor allem für junge Ärzte, die sich dem Studium der westlichen Medizin verschrieben hatten. Sie träumten davon, den weiten Weg bis zu dieser Stadt an der westlichsten Spitze der japanischen Inselkette zurückzulegen und dort von einem europäischen Arzt persönlich in westlicher Medizin unterrichtet zu werden.
Selbstverständlich ließ die Regierung nicht zu, daß einfache Japaner direkten Kontakt zu Europäern aufnahmen, so daß dieser Traum, so sehr ihn die jungen Leute auch herbeisehnten, fast bis zum Ende der Landesabschließung nicht in Erfüllung gehen konnte. Doch eines Tages wurde auch dieses Hindernis durch das Erscheinen eines ausländischen Arztes aus dem Weg geräumt. Ich halte es für wichtig und im Zusammenhang mit dieser Ausstellung auch für sehr aufschlußreich, über die Leistungen dieser Persönlichkeit zu sprechen; lassen Sie mich daher kurz auf das Wirken der Holländischen Ostindienkompanie auf Dejima zurückkommen.
Außer einem halben Dutzend holländischer Kaufleute lebte dort immer auch ein Arzt. Zwei dieser Ärzte waren bemerkenswerterweise Deutsche. Einer davon war Engelbert Kaempfer (1651-1716), der 1690 als Schiffsarzt auf einem holländischen Frachter nach Japan gekommen war und zwei Jahre lang als Hausarzt des Handelshauses auf Dejima Dienst tat. Der andere Arzt, Phillip Franz von Siebold (1796-1866), kam 1823, über ein Jahrhundert nach Kaempfer, und blieb bis 1829 in Nagasaki. Als Arzt diente er verhältnismäßig lange Zeit auf Dejima.
Kaempfer blieb nicht so lange in Japan, und seine Kenntnisse des Japanischen dürften bescheiden gewesen sein. Desungeachtet widmete er sich mit großer Energie dem Studium der japanischen Geschichte, Geographie, Politik und Religion und schrieb zwei Bücher über Japan, die noch heute von Bedeutung sind. Es mag überraschen, daß sich Kaempfer für die Politik der Landesabschließung mit dem Argument aussprach, Japan könne dadurch überflüssige kriegerische Auseinandersetzungen mit anderen Ländern vermeiden, was wiederum dem Lebensstandard der Bevölkerung zugute komme und es Japan ermöglicht habe, eine hochentwickelte Zivilisation aufzubauen. Vermutlich beurteilte Kaempfer die Politik der Landesabschließung damals so positiv, weil er daran denken mußte, daß etliche Länder Europas, darunter auch sein Vaterland Deutschland, ständig miteinander Krieg führten.
Doch mit der Persönlichkeit, die im Zusammenhang mit dieser Ausstellung von großer Bedeutung ist, hatte ich Siebold gemeint. Das, was er während seines Aufenthaltes in Nagasaki geleistet hat, gehört zu dem Großartigsten, was je auf dem Gebiet des Kulturaustausches zwischen Japan und Europa vollbracht worden ist. Es versteht sich von selbst, daß sich Siebold auf seinem Gebiet, der Medizin, auszeichnete, doch galt sein Interesse einfach allen Wissensgebieten, der Flora und Fauna, der Geographie, der Geschichte, der Architektur, der Kunst und der Sprache Japans. All diese Themen studierte er gründlich und verfaßte drei umfangreiche Werke.
Exemplare derjenigen Tierarten, die nur in Japan vorkommen, ließ er ausstopfen, und einzelne Pflanzen ließ er nicht nur von Kunstmalern detailgetreu abbilden, sondern brachte auch die Samen vieler Arten nach Europa und versuchte, sie dort anzusiedeln. Heutzutage würde wohl die gesamte Ladung auf der Stelle von den Zollbeamten am Flughafen beschlagnahmt. Doch gedeihen jetzt überall in Europa in botanischen Gärten, in Parks und entlang der Straßen allerlei Pflanzen, die in Japan heimisch sind und angeblich von den Samen abstammen, die Siebold mitgebracht hat. Dazu zählen unter anderem die japanische Kirsche, die Hortensie, die Iris, die Azalee und die Lilie.
Seine größten Erfolge verzeichnete Siebold jedoch auf seinem eigentlichen Gebiet, der Medizin. Er allein legte sozusagen das Fundament für die westliche Medizin in Japan. Seinem Ruf hatte er es zu verdanken, daß ihm die japanische Regierung ausnahmsweise gestattete, von Dejima in einen Außenbezirk von Nagasaki zu ziehen und dort eine Praxis mit angegliederter Privatschule zu eröffnen. Das war 1824; ein Jahr zuvor erst hatte Siebold seinen Dienst als Hausarzt der Holländer auf Dejima angetreten. So kam es, daß sich sein Institut, die „Narutaki juku“, trotz der Landesabschließung zu einem Stützpunkt für die junge japanische Elite entwickelte, die sich mit westlicher Medizin und westlichem Gedankengut im allgemeinen befassen wollte.
Vor kurzem fanden in Japan zwei in großem Stil konzipierte Ausstellungen statt, die dem Andenken an Siebolds beziehungsweise Kaempfers großartige Verdienste gewidmet waren. Beide Ausstellungen, die in verschiedenen Kunstmuseen stattfanden, haben das japanische Publikum zutiefst beeindruckt. Man darf wohl sagen, daß auch die Japaner sich allmählich deutlicher bewußt werden, welch große Rolle Siebold und Kaempfer in der Geschichte des Kulturaustausches zwischen Japan und Europa gespielt haben. Viel ist schon darüber berichtet worden, in welchem Ausmaß Japan nach dem Sturz der Tokugawa-Regierung im Laufe der Modernisierung von Deutschland gelernt hat. Der deutsche Einfluß war auf fast allen Bereichen außergewöhnlich stark, im Rechtswesen, in politischer Philosophie, in der Außenpolitik und im Militärwesen ebenso wie in der Medizin, der Philosophie, der Ästhetik, der Literatur, dem Theater, der Musik und den bildenden Künsten.
An dieser Stelle möchte ich mich jedoch auf die Namen von zwei Japanern beschränken. Einer davon ist der Arzt Mori Ôgai, der sich aber auch als Dichter, Schriftsteller, Literaturkritiker und Dramatiker einen Namen gemacht hat, der andere, Murayama Tomoyoshi, ist nicht nur als Maler, sondern auch als Dramatiker, Regisseur und Schriftsteller bekannt.
Mori Ôgai war der Sohn einer seit Generationen angesehenen Arztfamilie und zeichnete sich schon als Kind durch eine ungewöhnliche Begabung aus. An der Universität spezialisierte er sich auf Medizin und wurde Arzt bei der Armee. 1884 kam er im Alter von zweiundzwanzig Jahren nach Deutschland, wo er in Leipzig, München und Berlin insgesamt fünf Jahre lang Hygiene und Militärmedizin studierte, kehrte dann mit ausgezeichneten Zeugnissen nach Japan zurück und stieg später zum ranghöchsten Militärarzt auf. Sein Gesamtwerk umfaßt insgesamt achtunddreißig Bände. Sieben davon beinhalten wissenschaftliche Abhandlungen und Essays zu Medizin und Militärwesen, und viele davon hatte Ôgai auf deutsch geschrieben. Das allein ist schon eine beeindruckende Leistung.
Doch es ist seinem überwältigenden Erfolg auf literarischem Gebiet zu verdanken, daß der Namen Moro Ôgai noch heute, siebzig Jahre nach seinem Tod, in Japan jedermann ein Begriff ist. Während seines Studienaufenthaltes in Deutschland eignete sich Ôgai zielstrebig und mit bewundernswerter Auffassungsgabe alles an, was ihm an alter und neuer europäischer Literatur, Philosophie, Ästhetik und Theaterformen begegnete. Gleich nach seiner Rückkehr entwickelte er eine fieberhafte Tätigkeit in allen möglichen Bereichen, verfaßte unter anderem Gedichte, Romane, Literaturkritiken, Theaterstücke, Übersetzungen und Aufsätze über Ästhetik und Kunst und galt wenig später, im Alter von nicht einmal dreißig Jahren, als der hellste Stern am literarischen Firmament Japans. Seine bewundernswerte Produktivität beruhte zum einen auf gründlichen Kenntnissen der klassischen chinesischen Literatur, die er sich bereits in jungen Jahren angeeignet hatte, zum anderen auf der alten und neuen deutschen und europäischen Kultur, die Ôgais junger Verstand voll Neugierde aufgenommen und verwertet hatte.
Deutschland ist häufig der Schauplatz seiner frühen Romane. Die Erzählung „Die Tänzerin“, mit der Ôgai in der literarischen Welt debütierte, spielt zum Beispiel in Berlin. Es ist eine Liebesgeschichte, die von der Beziehung zwischen einem japanischen Stu
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denten und einer verarmten deutschen Tänzerin handelt und ein tragisches Ende nimmt. Das Werk hatte Ôgai über Nacht berühmt gemacht, und Schilderungen wie die der blühenden Geschäftsstraße „Unter den Linden“ trugen sehr dazu bei, dem japanischen Leser eine reizvolle Vorstellung von Europa zu vermitteln.
Wie Sie wissen, ist in Berlin vor kurzem eine „Mori-Ôgai-Gedenkstätte“ eingerichtet worden. Ich wünsche mir, daß diese Gedenkstätte noch bekannter und beliebter wird. Vor etwa einem Monat ging die Nachricht durch die japanische Presse, daß Herr Prof. Dr. Jürgen Berndt, der Leiter der Gedenkstätte, auf einer Reise ganz unerwartet verstorben war. Ich möchte an dieser Stelle mein tiefstes Beileid aussprechen.
Lassen Sie mich nun ein paar Worte zu Murayama Tomoyoshi sagen, der in seiner erstaunlichen Produktivität dem älteren Moro Ôgai in nichts nachsteht. Murayama kam 1922 im Alter von einundzwanzig Jahren nach Berlin, um Studien zur Urform des Christentums aufzunehmen. Doch in Berlin begegnete er den Werken von Kandinsky und Klee, er begegnete auch Herwarth Walden, und das weckte seine Liebe zur bildenden Kunst, die seit frühester Jugend in ihm geschlummert hatte. Er überließ sich ganz dem Einfluß der brodelnden, von Leben erfüllten Berliner Kunstszene, in der Kunst und Theater eins wurden, wandte sich dann der avantgardistischen Kunst zu und entwickelte selbst eine Methodologie unter der Bezeichnung „intentionaler Konstruktivismus“.
Im Alter von zweiundzwanzig Jahren kehrte Murayama nach Japan zurück und revolutionierte den bisherigen Begriff von Malerei, indem er außer Farbe auch noch andere Materialien wie Haare, Schuhe, Wolle, Schnüre, Nägel, Blech, bedrucktes Papier, Photos, Kunstblumen und Stoff einsetzte, und versuchte, neue „kollagierte Objekte“ zu schaffen. Sein künstlerisches Werk und seine Methodologie setzten ihn auf Anhieb an die Spitze der ersten avantgardistischen Kunstbewegung im modernen Japan. Der Einfluß, den diese von ihm ins Leben gerufene Bewegung („Mavo“) ausübte, machte sich nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch auf anderen Gebieten der Kunst bemerkbar, zum Beispiel in der Dichtung, der Druckkunst, der Photographie und der Bühnenkunst, im Film, in der Musik, im Tanz und im Straßentheater. Als neue Bewegung schockierte und stimulierte sie den gängigen Kunstbegriff. Auch in dieser Ausstellung sind einige dieser spannungsgeladenen Werke von Murayama Tomoyoshi zu sehen.
Man braucht nur einen flüchtigen Blick auf die Arbeiten von Mori Ôgai und Murayama Tomoyoshi zu werfen, um zu begreifen, welch entscheidende Bedeutung den in ihrer Jugend von Deutschland erhaltenen Impulsen bei der Gestaltung der modernen japanischen Kultur zukam. Dasselbe gilt für Hunderte anderer Künstler, Denker und Wissenschaftler.
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