: Unterm Strich
„Bayerische Demokraten!“, beginnt ein Aufruf österreichischer Schriftsteller und Journalisten, der sich gegen die Vergabe des mit 25.000 Mark dotierten Jean- Paul-Preises des Freistaates Bayern an die ebenfalls österreichische Schriftstellerin Gertrud Fussenegger wendet. Der Freistaat Bayern zeichne mit dieser Entscheidung „anti-österreichische und anti-semitische Lyrik aus, wie sie von Fussenegger – über acht Jahre hinweg – ohne Zwang, aus freien Stücken in zahlreichen Variationen verfaßt worden sind“. Fussenegger habe sich literarisch und essayistisch rege in Goebbels' Zeitschrift Das Reich, in Baldur von Schirachs Zeitschrift Wille und Macht, vor allem aber in der süddeutschen Ausgabe des Völkischen Beobachters geäußert (Kostprobe: ein Hitler gewidmetes Gedicht, anläßlich des „Anschlusses“ der „Ostmark“ ans „Reich“: „Betend wallt ihm entgegen/freudeweinendes Volk,/sich selbst als Gabe zu bringen,/gewillt zu größtem Bekenntnis“). Die Autoren fordern den Freistaat Bayern auf, das Preisgeld zu verdoppeln und nicht Fussenegger, sondern den Opfern des neuen Terrors in Deutschland zu widmen. Zu den Unterzeichnern gehören Gert und Marie-Thérèse Kerschbaumer, Andreas Maislinger, Gerhard Oberschlick, Sylvia Vogler, Peter Gstettner, Angela Gruber, Konstantin Kaiser und Haimo L. Handl.
Hofer, Hofer? Richtig, ist der von der Tagesschau, „bitte Jan Hofer, die Nachrichten“. Jetzt präsentiert er aber auch „Swing-Raritäten“ auf einer CD, die zur gleichnamigen Sendereihe des Hessischen Rundfunks erschienen ist, und auf der uns der gut erhaltene Seitenscheitelträger im Nick-Knatterton-Jackett ganz Feuer-Pfeife-Stanwell-mäßig vom Cover herab zuschmunzelt, während auf dem antiken Grammophon im Vordergrund gerade eine echte Swing-Rarität am Abnudeln ist. Da will man doch glatt zum Dujardin greifen, zumal uns Hofer ganz nebenbei darüber belehrt, was der derzeitige weltmännische Maximalkonsens des politisch durchaus interessierten (aber ansonsten „sachlichen“) gesamtdeutschen Feierabendswingers ist: früher Fuchsberger, allenfalls noch mittlerer Kulenkampff.
Seit Rudolf „look sharp“ Scharping Kanzler werden will, hat auch die Beschickung der Kulturredaktion durch rheinland-pfälzische Selbstdarstellungs-Mafias, etwa den Fremdenverkehrs- und Heilbäderverband e.V., in beunruhigendem Maße zugenommen. Frei von Augenzwinkern oder Ironie wird für Events wie „Moselhauptstadt Trier: Freund Bacchus lädt zur Moselfränkischen Gourmetreise“, „St. Goarshausen: Rhein in Flammen bei der Loreley“ oder „Bad Ems, eine Stadt im Blütenrausch“ geworben. Des weiteren kann man im „Oberen Kylltal“ (gibt's das wirklich?) eine „Ferienschule für Herrchen und Hund“ besuchen oder „Ein sinfonisches Erlebnis“ bei den II. Internationalen Orgelfestwochen mit nach Hause neh-
men – ganz zu schweigen von den humanmedizinischen Segnungen des Kurses „7 Tage Gesundtrinken“ unter dem schönen Motto „Bad Bertrich präventiv“. Wir freuen uns trotz aller Sorge um Leib, Leben, Verstand und Immunsystem auf weitere Pfälzer Kultur- und Selbstverwirklichungsmodelle und melden uns schon mal präventiv für das Intensivwochenende „autogenes Gesundbeten in Traben-Trarbach“ an.
Alexander Solschenizyn hat seine Heimkehr aus dem amerikanischen Exil nach Rußland auf den kommenden Mai verschoben. Er werde aber – dies teilte Solschenizyns deutscher Übersetzer Wolfgang Kasack der dpa auf Anfrage mit, am 9. Oktober für einige Tage nach Moskau fliegen, um dort ein Haus zu besichtigen, das die russische Regierung derzeit für ihn instandsetzen lasse. Kasack zufolge handelt es sich dabei um eine ehemalige Regierungsdatscha in einem Moskauer Prominentenvorort. Erst vor zwei Jahren war Solschenizyn „vollständig rehabilitiert“ worden.
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