■ Jegor Gaidar soll den Reformkurs garantieren: Die Rückkehr des Steuermanns
Jegor Gaidar war ein Synonym für Rußlands Bereitschaft zu einschneidenden Reformen. Ein Politiker, jung und frei vom Stallgeruch der sowjetischen Nomenklatura. Im ersten Jahr der russischen Reformen 1992 wurde er gehaßt und gehätschelt wie kein anderer. Denn er war ihr Architekt. Die Revolte der reaktionären Volksdeputierten im vergangenen Dezember brachte ihn zu Fall. Viktor Tschernomyrdin trat an seine Stelle als Premier. Ein Kompromißkandidat mit großem Herzen für die alte Elite der Direktoren der Staatsbetriebe, mutmaßte man. Das erhoffte Rollback seiner Klientel leitete er dennoch nicht ein. Nun ist es Tschernomyrdin selbst, der die Heimkehr Gaidars ins Kabinett befürwortet. Die Reinthronisierung ist Beleg und Garantie zugleich – für den bisherigen Erfolg und die konsequente Fortsetzung des Reformkurses. Die Opposition hingegen haucht ihre Lebensgeister aus und verfällt dabei noch in einen disharmonischen Schwanengesang.
Wie anders läßt es sich deuten, wenn Vizepräsident Alexander Ruzkoi, Jelzins Widersacher in Stellvertreterposition, die Wiedererrichtung der UdSSR einklagt und die Macht im Land selbstverständlich an die Sowjets, die Räte, übertragen möchte? Sie seien die einzigen, die Ordnung garantierten und die Herrschaft des Volkes wiederherstellten. Immerhin haben sie davon 70 Jahre lebhaften Beweis abgeliefert. So viel genialische Einfalt ist ein Geschenk für die Regierenden. Ähnlich koordinationslos strampelt Parlamentspräsident Chasbulatow, der die Deputierten der jungen Staaten zu einer Konföderation überreden möchte. Die Haudegen und Hampelmänner der Opposition spielen ihre allerletzte Karte, die nationale und imperiale. Verantwortungslos, aber gleichzeitig Produkt purer Hilflosigkeit, wird der Aktion jeder Resonanzboden fehlen.
Mit der Entscheidung, Gaidar zurückzuholen, versetzt Jelzin der Opposition einen knallharten Hieb. Schmerzlich erinnert er sie daran, wie ernst er sie noch vor zehn Monaten genommen hat. Die äußerste Polarisierung soll aus der Paralysierung der Gewalten herausführen. Längst war dieser Schritt überfällig. Nicht von ungefähr zeigt Jelzin sich bereit, vorgezogenen Präsidentenwahlen zuzustimmen. So wollte es die Opposition ursprünglich, um sich selbst der Wahl zu stellen. Längerfristig kommen die Deputierten wohl nicht umhin, die Bedingungen des Präsidenten zu akzeptieren: erst Wahlen der Volksvertreter, dann des Präsidenten. Ruzkoi und Chasbulatow fänden dann endlich ein bißchen Ruhe im Moskauer Wachsfigurenkabinett – und wir mit ihnen. Klaus-Helge Donath, Moskau
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