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Deutsches AKW für die Türkei zugesagt

■ Kohl versprach der türkischen Ministerpräsidentin Ciller viel Geld

Berlin/Bonn (taz) – Begleitet von ein paar Hundert prokurdischen DemonstrantInnen begann gestern der Staatsbesuch der türkischen Ministerpräsidentin Tansu Ciller in Bonn. Das Häuflein Versprengter rief „Faschistin Ciller“ und „Es lebe unser Führer Apo“ (der Chef der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, d. Red.).

Im Bundeskanzleramt lobte unterdessen Helmut Kohl die „alten“ deutsch-türkischen Beziehungen. Ciller, die ihr Amt erst im Juni antrat, sprach selbstbewußt über die geostrategische Rolle ihres „boomenden“ kapitalistischen Landes.

Nach dem zweistündigen Gespräch meldete die Wirtschaftsprofessorin Ciller Erfolg auf der ganzen Linie: Kohl habe ihr zugesagt, ein Atomkraftwerk in Zonguldak zu bauen. In der Region an der türkischen Schwarzmeerküste, in der der Rückgang der Kohleförderung eine Massenarbeitslosigkeit ausgelöst hat, könnten damit rund 5.000 Arbeitsplätze entstehen.

Für Kasachstan seien 70 Joint- ventures vereinbart worden. Kohl habe von den dort lebenden Deutschen gesprochen, aber auch die wichtige Rolle der Türkei in türkischsprachigen ehemaligen Sowjetrepubliken betont, sagte Ciller. Das gelte auch für Transkaukasien, wo die BRD, die USA, Rußland und die Türkei gemeinsam für Frieden zwischen Armenien und Aserbaidschan eintreten wollten.

Auf dem Gebiet der doppelten Staatsbürgerschaft habe sie sich mit Kohl auf einen „Stufenplan mit Erleichterungen“ geeinigt, sagte Ciller. Einzelheiten nannte sie nicht.

Von dem schmutzigen Krieg in Türkisch-Kurdistan, der nach Berichten der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ allein in den vergangenen fünf Monaten über 1.500 Menschen das Leben kostete, war laut Cillers Pressekonferenz in der türkischen Botschaft keine Rede. Auch nicht von den Menschenrechtsverletzungen – Verschwindenlassen, Folterungen, Hinrichtungen – die nach Berichten der Menschenrechtsorganisation amnesty international in den vergangenen Monaten zugenommen haben. Und der Name des seit November 1992 in türkischer Haft sitzenden deutschen Journalisten Stephan Waldberg wurde nicht einmal erwähnt. Waldberg, dem seine journalistische Tätigkeit als Unterstützung der PKK ausgelegt wurde, ist in der Türkei zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Nach seinem letzten Türkei-Besuch im Mai hatte Kohl zwar eine baldige „zufriedenstellende Lösung“ angekündigt. Doch seither haben die Angehörigen Waldbergs nichts von weiteren Bonner Bemühungen um den Journalisten gehört.

Kohl habe das Thema Menschenrechte nur im Zusammenhang der PKK angesprochen, erklärte Ciller. Er habe gesagt, daß es eine Gruppe gebe, die propagandistisch gegen die Türkei tätig sei.

Bonn sollte eigentlich die erste ausländische Hauptstadt sein, die Tansu Ciller als Regierungschefin besuchen wollte. Doch die Zuspitzung im Krieg im benachbarten Transkaukasien und die neuerliche Annäherung Aserbaidschans an Moskau durchkreuzten diesen Plan. Kurzfristig setzte sie in der vergangenen Woche eine Reise nach Rußland an.

Die BRD ist die wichtigste Handelspartnerin der Türkei – der Warenumtausch umfaßt alle denkbaren Gebiete, inklusive Tausende von Stahlhelmen, Maschinengewehren und Panzern, die Bonn gemäß einer Nato-Absprache als kostenlose Militärhilfe schickt. Außerdem gilt die BRD in Ankara als stärkste Verbündete auf dem von der türkischen Regierung gewünschten Weg in die EG. Und schließlich leben in der BRD über zwei Millionen TürkInnen – mehr als irgendwo sonst außerhalb der Türkei. Seit den Mordanschlägen von Mölln und Solingen verlangen türkische Medien vehement nach einer Interessenvertretung für diese Diaspora.

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