Zehnmal Köhlbrandbrücke

■ Kunst-Stadtfahrten boten „Verborgene Geschichte“, absurdes Sightseeing und Trockenfliegen

Mit dem HVV-Bus ins Autokino Billbrook, mit Jasper-Bussen zum Probeflug mit Ingold-Airlines oder zum Skandal-Bauplatz am alten Hertie-Kaufhaus in Ottensen in Begleitung einer New-Yorker Künstlerin: ungewohnte Reisen in Hamburg bietet das neue Unternehmen Stadtfahrt von Sabine Siegfried und Eva Bothe. Seit diesem Dienstag verblüffen alternative Stadttouren Mitfahrer und Passanten. Nervöse Geschäftigkeit befällt die Portiers von Nobelhotels, wenn ein unangemeldeter Flughafenbus vor dem Entree hält, hoheitlichen Ordnungswillen demonstrieren die Zöllner an der Freihafengrenze, wenn derselbe HVV-Bus immer wieder im Zollamtsbereich wendet, um zehnmal hintereinander über die Köhlbrandbrücke zu fahren.

Den Mitreisenden bieten die Gruppenfahrten mit Künstlern und Künstlerinnen etwas andere Raum- und Zeitwahrnehmung. Wer sich fast fünf Stunden dem Hamburger Emblematiker Michael Deistler anvertraute, konnte erst den im Sonnenuntergang sich stets verändernden Blick von der Hochbrücke auf die Stadt genießen, dann nach einer Stärkungspause in der Oberhafenkantine im Autokino den stationären Blick auf immer sich verändernde Filmbilder reinziehen. Der Bus quer vor der Leinwand dürfte mit ziemlicher Sicherheit eine Weltpremiere gewesen sein.

Ernster ging es am Mittwoch zu: Martha Rosler führte anläßlich des am letzten Wochenende gefeierten Anfang des Jahres 5754 mosaischer Zeitrechnung zu den jüdischen Gräbern in Altona. Vor der Anlage in der Königstraße gab es eine Einführung in jüdische Begräbnissitten. Und vor dem Baugelände in Ottensen unter dem Titel: „Ein leerer Raum in Ottensen - kontaminiert durch Geschichte, Kapital und Asbest“ eine Lesung mit verteilten Rollen. Die Künstlerin arbeit in den USA mit Fotos, Videos und Installationen über soziale Brennpunkte und verborgene Geschichte. Hier leistete sie eine kritische Analyse der weltweiten „Einberufung der Toten in die Armeen der Lebenden“ = der Instrumentalisierung von Begräbnisplätzen von Indianern, Afroamerikanern und Juden durch ökonomische und politische Interessen.

Begonnen hatte die Rundfahrtserie mit einer Ironisierung der Rituale der „Verprächtigung“ von Fortbewegung. Seit langem betreibt der Schweizer Res Ingold mit allen professionellen Attitüden eine Firma für „Ergänzungsluftverkehr in den Lücken des internationalen Verkehrsnetzes“. Seine Stadttour war eine Werbefahrt mit Bordvideo, Bordmechaniker und charmanter Stewardess.

Das ganze Stadtfahrt-Projekt ist eine leider nur einwöchige Kunstaktion aus den Mitteln für Kunst im öffentlichen Raum. Die Kulturbehörde fördert hier eine stark sozial orientierte Kunst, die jenseits von Ausstellungshalle und Gartenplastik eine unmittelbarere Ideenvermittlung ermöglicht. Die restlichen Fahrten seien wärmstens empfohlen! Hajo Schiff

Informationen : 0161-3413114