: Nachschlag
■ Und noch eine Stasi-Diskussion
Der Beginn erinnerte an eine sehr frühe Robert-Lembke- Show. Auf der Bühne des Kinosaals der Gauck-Behörde saßen sie am Donnerstag abend alle aufgereiht, mit Namensschildchen versehen, und fragten sich vorsichtig an den Charakter der Vergangenheit heran: Moderator Manfred Rexin vom RIAS, FU- Professor Arnulf Baring, Zeit-Chefredakteur Robert Leicht, Joachim Gauck und Lutz Rathenow.
Müssen wir aufarbeiten, warum müssen wir aufarbeiten, sollte die falsche Aufarbeitung auch aufgearbeitet werden, und weshalb fahren Straßenbahnen nachts schneller als in Kurven? Doch dann wurde es doch noch spannend. Robert Leicht pries die Zufälligkeiten des Biographischen, warnte vor Selbstgerechtigkeit und überlegte, ob er nicht auch vielleicht heute als Wahlfälscher vor Gericht stehen könnte, wäre er damals eben in Dresden aufgewachsen. „Was bringt Sie, einen sensiblen Intellektuellen, dazu, sich ausgerechnet mit den Machthabern zu identifizieren und nicht mit all denen, die mundtot gemacht und gedemütigt wurden?“ Das war der Pfarrer Gauck. Und weil dieser deutsche Glücksfall kein moralisierender Pfaff' ist, sondern einer, der ethisches Empfinden mit feiner Ironie zu verbinden weiß, kam es im Saal auch nicht zu Gedröhne, sondern zu gespannter Erwartung. Und wurde die Antwort Robert Leichts wiederum als zu leicht gewogen, half Arnulf Baring etwas weniger sensibler, dafür etwas deutlicher nach. So was könnte ausgebaut werden: die endlich zu vollziehende Selbstbetrachtung der Linksliberalen auf ihrem Weg von der nötigen Entspannungspolitik zur völlig unnötigen Umarmungskumpanei mit den östlichen Machthabern. Vor diesem Hintergrund bekäme die Stasi-Aufarbeitung auch endlich den ihr anhaftenden Geruch schweißtreibender ABM-Tätigkeit für Dissidenten mit Luxusmoral los und würde als das begriffen, was sie ist: die Wehrlosigkeit des Individuums vor dem System offenzulegen, die „Lust auf Feigheit“ (Gauck) zu dokumentieren und entsprechende Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen. Mit Gauck und Rathenow saßen zwei Vertreter der ostdeutschen Opposition auf dem Podium, die diesen Aspekt auch jenen Naivlingen immer wieder geduldig vortrugen, die immer noch meinten, es ginge hier um Hexenjagden und aktenexorzistische Reinigungen im Ringen um Gut und Böse. Ob damit die von Rathenow benannte „Freude an der Wahrnehmungsverweigerung“ wieder auf den Weg der Realität zurückgeführt werden kann, ist noch ungewiß. Viel wird auch davon abhängen, wie lange ein offiziöser Konformismus noch im Tarngewand von Sensibilität und Differenzierungsvermögen durch die Lande schleichen kann. Marko Martin
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