: Europa schlägt kaum zu Buche
Während Zeitungsverlage und andere Medienkonzerne längst das grenzenlose Geschäft entdeckt haben, hat der europäische Buchmarkt noch keine transnationalen Strukturen gefunden ■ Aus Rom Werner Raith
„Europa“, sagt der Cheflektor des Mondadori-Verlages in Mailand, Gianarturo Ferrari. „Ja, wo bleibt es denn?“ Spitzenmanager von Gallimard in Paris oder von Fischer in Frankfurt antworten nahezu identisch: Europa im Buchverlagswesen? Schwer zu sagen, ob es das gibt; schwer auch zu sagen, ob jemals etwas daraus wird – nicht nur im Hinblick auf Europa-Themen (rein technokratische Bürokraten-Informationen ausgenommen), sondern vor allem im Hinblick auf eine Kooperation mit transnationalen Strukturen und Projekten.
Ein merkwürdiger Vorgang. Während im Zeitungswesen der internationale Großkonzern längst die Regel ist und auch bei anderen Medien die Kooperation und oft sogar die gegenseitige Beteiligung an den Firmen normal erscheint, „herrscht im Buchwesen noch der dinosaurische Eigenständigkeitsfimmel vor“, wie kürzlich ein Buchhändler auf der Messe von Bologna klagte.
Ganz so einfach scheint es aber auch wieder nicht zu sein, wenn man die Chancen grenzüberschreitender Buchkonzeption genauer betrachtet. Sieht man einmal von der aus Kostengründen arbeitsteiligen Transnationalität des Schriftsetzens und Druckens ab, so hemmen vorwiegend drei Elemente schon die einfachste Vernetzung literarischer oder schulbuchorientierter Verlage: Einmal ist „da die Sprachbarriere, die in vielen Bereichen Kooperation ziemlich erschwert“, wie der kaufmännische Direktor des Fischer-Verlages, Hubertus Schenkel, erklärt. Immerhin habe das Europa der Zwölf eben ein gutes Dutzend Nationalsprachen. Eine vereinigende gesamteuropäische Sprache wie das Englisch in den USA aber existiert nicht – zumindest nicht in dem Maße, daß Literatur in englischer Sprache von hinreichend vielen Autoren geschrieben und von hinreichend vielen Lesern konsumiert werden könnte.
Der zweite Faktor ist die mögliche Gewinnmarge: Während sich im Zeitungsverlagswesen durch den immensen Anzeigen- und Werbungsmarkt Umsätze in Milliardenhöhe erzielen lassen, müssen sich Buchverlage der Oberklasse mit ein paar hundert Millionen, der Mittelklasse mit 30 bis 50 Millionen zufriedengeben. Damit sind internationale Investoren kaum zu locken. Der dritte Faktor ist die völlig unterschiedliche kulturelle Ausrichtung der verschiedenen Länder Europas – Lektoren stöhnen selbst bei bestsellerträchtigen Angeboten aus dem Ausland, wie schwer der Inhalt dem heimischen Publikum nahegebracht werden könne. Erfolge wie Umberto Ecos „Der Name der Rose“, der als große Ausnahme in allen europäischen Ländern auf die Bestsellerliste kam, führen Branchenkenner vor allem auf eine geradezu absurde Eigenschaft zurück: Das Buch wurde von kaum jemandem gelesen, weil es so dick war. Aber es wurde mit einer geschickten Werbung als Schlüsselroman der aufständischen siebziger Jahre verkauft, so daß alle darüber redeten, ohne den Inhalt zu kennen, das aber wiederum nicht zugeben konnten.
Kooperationen bilden sich allenfalls auf jenen Gebieten heraus, die besonders kostenträchtig und von der Gewinnkalkulation her kompliziert sind, zum Beispiel auf dem Kinderbuchmarkt, wo der teure Vierfarbdruck schon fast obligatorisch ist und die Koproduktion eine erhebliche Kostenminderung bringt. Ähnliches gilt für den Sektor der Atlanten.
Und es gibt weitere Ausnahmen: Große, international operierende Zeitungsverlage und Medien-Mischkonzerne – wie etwa Bertelsmann – verfügen über Buchverlage und sind auch im Ausland an solchen beteiligt. In Deutschland lassen die meisten Großunternehmen ihren Buchverlagen jedoch volle Autonomie. Fischer gehört zum Beispiel ebenso wie Rowohlt zur Holtzbrink- Gruppe, doch beide betonen ihre Unabhängigkeit. Das Gleiche trifft für England und Frankreich zu, so daß „Europa“ von der Investorenseite kaum gefördert wird.
Manche Verleger sehen in der Europa-Abstinenz aber auch ein Zeichen geistiger Größe: „Lassen wir uns auf Europa ein“, sagt Gianarturo Ferrari von Mondadori, „dann kann es leicht passieren, daß wir uns am Ende auf Europa beschränken. Doch die für den heutigen Leser interessanteren Bücher kommen, wenn sie aus dem Ausland stammen, nur zum geringeren Teil aus Europa. Sie kommen aus Lateinamerika, aus Indien und aus Afrika.“
Die Brüsseler Eurokraten müssen wohl umdenken. Sie betonen immer wieder, wieviel sie für europaweite Buchverlage übrig haben, und aus den Kulturfonds ließen sich mindestens so viele Mittel schöpfen, wie dies die Zeitungsverleger tun – mal unter dem Aspekt des reinen Informationsaustausches, mal unter dem weiter gefaßten Begriff der Regionalentwicklungsfonds, die auch die Investitionen in ausländischen Verlagen fördern. Doch eine Konzeption für eine Vernetzung, Kooperation oder gar Verflechtung gibt es ebensowenig, wie ein Austausch darüber, welche Aspekte förderungswürdig sind und welche nicht. Europa wird noch einige Zeit warten müssen.
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