Sanssouci: Nachschlag
■ Nachdenken über Otl A.
Christa Wolf kochte auf für Otl Aicher. Und alle waren gekommen. „schreiben und widersprechen“ wurde Buch-präsentiert, keinesfalls ihr neuestes Werk, obwohl der Titel das fast verspricht. Vielmehr handelt es sich um die Schriften aus dem Nachlaß von Otl Aicher, einem der renommiertesten Graphiker der deutschen Nachkriegszeit. Ins Internationale Design Zentrum hatte Gerhard Wolf, der Verleger von Janus press, geladen. So erklärt sich zum ersten ganz familiär die prominente Laudatorin Christa Wolf.
Aicher, der die Gesamtgestaltung für Janus press entwarf, hatte für seine politischen Schriften keinen Verlag gefunden, so rekonstruierte Gerhard Wolf etwas ungeschickt und zweideutig die Publikationsgeschichte. Obwohl der experimentellen und vorwiegend DDR-orientierten Literatur verschrieben, entschloß Wolf sich zur Veröffentlichung. Aicher übergab ihm das Manuskript kurz vor seinem Tod. So wurde aus dem Projekt ein Nachlaßband, der neben kunsttheoretischen Aufsätzen auch Aichers Notizen zur DDR beinhaltet. Also doch ein Anknüpfungspunkt?
Christa Wolf, die verhalten und angespannt wirkte, trug ihren Text vor, den sie eigens für dieses Buch verfaßt hat. Eine Hommage: Er schildert ihre Begegnung voller Respekt gegenüber dem Künstler und dessen Frau, Inge Aicher-Scholl. Zwei dem Antifaschismus verschriebene Paare lernen sich kennen. Über das Private geht dieser Text jedoch kaum heraus. „Für die Brennesselsuppe, die Inge uns in Rotis gekocht hatte, revanchierten wir uns mit einer Sauerampfersuppe. Ein glücklicher Augenblick, besonders für Gerd, als Otl sagt: ,Inge, hier kocht man so gut wie bei uns.‘“ Ort des Geschehens ist Woserin in Mecklenburg am 30. September 1989. Seit Christa Wolfs „Störfall“ wissen wir um den Fluchtpunkt Land dieser Autorin und kennen Haus wie Obst- und Kräutergarten. Gespräche in der Küche erzählten vom Bruder und Tschernobyl. Eine der Realität aufs Maul geschaute Form der Gesellschaftsdarstellung – und 1988 die vielleicht einzig mögliche. Christa Wolf bleibt auch 1993 bei diesem Genre. Die DDR sollte nicht einziges Thema des Abends bleiben. Wilhelm Vossenkuhl, Professor der Philosophie in München, sprach über die eigentlich unvereinbaren Begriffe Anarchie und Design. Um es kurz zu machen, bei Aicher widerspricht sich das nicht, sondern ergänzt sich wohlfeil. Die Dinge sind im Fluß, so die Anarchie, und werden, immer neu gestaltet, zum Design. Desweiteren erläuterte er Aichers Theorie von „kultur als alltäglichkeit“. Da die Kirchen und Paläste von Handwerkern, also nicht von Angehörigen der Hochkultur, gebaut werden, schafft also der Unterbau die Kunst, so ähnlich muß man sich das vorstellen. Walter Benjamin hätte schaudernd gestaunt. Diese Lehre der Alltäglichkeit ist wahrlich Barbarentum ganz anderer Art. Der geladene Philosoph hierzu vertrat's mit Verve. Semigrotesk die ganze Veranstaltung.
Was bleibt? Christa Wolf ist aus Amerika zurück, zurück nach Berlin oder nach Woserin, das wird sich erst zeigen. Das deutsche Thema und Otl Aicher? Getrost kann man von ihm sagen, einer, der stets das Gute will und stets das Schöne schafft. Caroline Roeder
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