: Gottesurteil statt Rechtsprechung Von Ralf Sotscheck
Irlands Richter sind – ebenso wie die meisten ihrer Landsleute – gottesfürchtige Menschen. So holen sie sich manchmal vor einer schwierigen Entscheidung den Rat des Herrn ein. Schließlich trägt er nicht umsonst den Spitznamen „Oberster Richter“. Besonders häufig vertraut Richter Rory O'Hanlon auf göttliche Eingebungen, selbst wenn es lediglich um die Trennung eines Ehepaares geht. O'Hanlon macht sich selbst diesen alltäglichen Fall nicht einfach, sind Ehescheidungen in Irland doch nach wie vor verboten. So betreibt der fromme Richter Ursachenforschung, damit andere Paare daraus lernen können.
In einem Fall befand O'Hanlon vor kurzem, das Scheitern der Ehe sei vorprogrammiert gewesen, war die Beziehung doch von Anfang an „durch das unbarmherzige Streben nach Vergnügen um des Vergnügens willen“ charakterisiert. Die Ehepartner haben sich jedoch nicht etwa den ganzen Tag auf dem Rummelplatz herumgetrieben, sondern „haben in ihren sexuellen Beziehungen Gebrauch von künstlichen Verhütungsmitteln“ gemacht. Offenbar jedoch nicht immer: Das Ehepaar hat fünf Kinder. Das ließ der Richter allerdings nicht gelten: „Es liegt in der Logik der Verhütung, daß Anti-Leben zu Anti- Liebe wird“, zitierte er aus dem Werk „Love and Commitment in Marriage“ des Monsignore Burke, eines Pfaffen der erzreaktionären Organisation „Opus Dei“, der O'Hanlon – wen wundert's? – ebenfalls angehört. Burke wurde übrigens 1986 von Papst Johannes Paul II. an den Katholischen Gerichtshof berufen, ist also Experte in Sachen Gottesurteil.
Waren die Gummis für O'Hanlon bereits eheschädigend, so grenzte es an Gotteslästerung, daß sich der Ehemann später sterilisieren ließ. „Während der Drang und die Fähigkeit, am Geschlechtsakt teilzunehmen, durch diesen Eingriff uneingeschränkt erhalten blieb“, medizinerte der Richter, „so ist es höchst bedeutsam, daß der endgültige Zusammenbruch der Ehe nicht lange auf sich warten ließ.“ Und bei einer Ehe, die „von vorehelichem Geschlechtsverkehr, Abtreibung, Verhütung und freiwilliger Sterilisierung geprägt“ ist, sind Alkoholismus und Drogensucht ebenfalls nicht weit entfernt. Der Richter vergaß, die Negermusik zu erwähnen: Sex and Drugs and Rock'n'Roll. Fatalerweise ist O'Hanlon nicht der einzige Kreuzritter in Richterrobe: Sein Kollege Brian Walsh hielt vor ein paar Wochen eine Rede vor militant-katholischen Abtreibungsgegnern in Cork, deren enges Weltbild er voll und ganz teilte. Auch O'Hanlon legt sich immer schwer ins Zeug, wenn es um die Rettung der Föten geht. Das hat ihn im vergangenen Jahr allerdings den Vorsitz des Ausschusses für Rechtsreform gekostet, weil die Regierung sich über den Eingriff in ihre Kompetenzen geärgert hatte. Muß der hostienköpfige Richter nun abermals mit Konsequenzen rechnen? Die Regierung hält sich vornehm zurück: O'Hanlon habe seine umstrittenen Äußerungen als Mitglied der Richterschaft gemacht, und deshalb „stellt sich die Frage nach einer Blamage für die Regierung gar nicht“. Freie Bahn also für den bigotten Richter, der seine Urteile auch weiterhin auf Opus-Dei-Schriften basieren lassen will, wenn „mir scheint, daß der Autor die Materie gewissenhaft studiert hat und zu einer korrekten Schlußfolgerung gelangt ist“. Amen.
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