Zweifelhaftes Statt-Partei-Klischee

■ Das inhaltliche Profil der Wegner-Truppe in Hamburg ist schärfer, als man denkt

Die Schublade für Hamburgs Polit-Newcomer war schnell gefunden: Die Statt-Partei, so erklärten SPD, CDU, GAL und Medien, hätte „inhaltlich nichts zu bieten“. Wer die vor den Wahlen von der Wegner-Truppe veröffentlichten Papiere durchgeht, stellt erstaunt fest: Die auf vielen Einzelblättern festgehaltenen Statt-Partei-Programmpunkte sind zumeist weniger schwammig formuliert als die Wahlprogramme der anderen Parteien. Die taz hat nachgelesen.

Finanzen: Hamburg soll kräftig sparen. „Null- und Minuswachstum“ des Stadthaushalts wird gefordert, erreichbar zum Beispiel durch Verkauf stadteigener Betriebe und Abbau von Subventionen für Unternehmen und öffentliche Träger. Privatisiert werden sollen unter anderem Stadtreinigung, Krankenhäuser sowie die Hamburgische Landesbank, die Hamburger Elektrizitätswerke HEW und die Gaswerke.

Inneres: Reform der Polizei. Die Beamten sollen weniger Schreibarbeiten und Verkehrsüberwachungsaufgaben übernehmen. Das könnten auch private Unternehmen erledigen.

Justiz: Keine Bewährungsstrafen für Gewalttäter bei wiederholter Straffälligkeit. Bei Straftätern ab 18 Jahren soll künftig nicht mehr das Jugendstrafrecht gelten. Derzeit gilt Erwachsenenstrafrecht erst ab 21 Jahren.

Jugend: Wiedereinführung der Erziehung in geschlossenen Heimen für wiederholt straffällig gewordene Jugendliche. Bei Wohnungsbau und Verkehrsplanung sollen Kinderinteressen stärker berücksichtigt werden. Mehr Spielraum statt Parkplatz in den Wohngebieten.

Drogen: Keine Freigabe weicher oder harter Drogen, Ausbau des Methadon-Programms, in begrenztem Umfang und unter ärztlicher Kontrolle, Abgabe von Drogen an Abhängige zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität.

Soziales: Im sogenannten „Sofortprogramm für soziale Brennpunkte“ fordert die Statt- Partei eine Reform der Vergabepolitik für Sozialwohnungen und eine bessere Ausstattung der Schulen und Kindergärten in diesen Quartieren. Eine „zentrale

Haben doch ein Programm: Rotraut Verheyen, Markus Wegner und Christian BölckowFoto: Pflug

Stelle zur Grobsteuerung der Wohnungsvergabe“ soll eine sozialverträgliche Durchmischung der Wohngebiete sicherstellen. Die „Stellenzahl der Lehrer und Sozialarbeiter in Problemgebieten“ soll erhöht werden, „gegebenenfalls auch zu Lasten der weniger benachteiligten Stadtteile“. Außerdem sollen neue Kindertagesheime vorwiegend in diesen Stadtteilen eingerichtet werden.

Umwelt: Wegners Wählervereinigung setzt auf Müllverbrennungsanlagen, die mit „modernster Rauchgasreinigung“ ausgestattet werden sollen. Wassersparen soll staatlich gefördert werden. Keine neuen AKW, statt dessen dezentrale Blockheizkraftwerke. Vorhandene AKW sollen genutzt werden, „bis ihre vorgesehene Lebensdauer“ erreicht ist. Ein früheres Abstellen sei anzustreben.

Verkehr: Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Ausbau der Radwege in den Wohngebieten bei gleichzeitiger „Nichtverteufelung des Autos“. Die Statt-Partei fordert den Bau eines getrennten parallelen Verkehrssystems für Radfahrer und Fußgänger. Ziel: „Rad-und Fußwege sollen so ausgebaut werden, daß sich Radfahrer nirgends in den fließenden Verkehr einfädeln müssen.“ In den Wohngebieten sollen verstärkt Zonen eingerichtet werden, in denen nur

Hierhin die drei

am Tisch

mit Mikrophonen

Anliegerverkehr erlaubt ist. Statt einer 4. Elbtunnelröhre eine Elbquerung außerhalb Hamburgs.

Stadtentwicklung: Wohnungsbauförderung durch Verdichtung, stadteigene Wohnungen sollen an Wohnungsgenossenschaften verkauft werden.

Schließlich Wegners Heimspiel-Terrain, die Demokratie- Reformen: Die Statt-Partei fordert die Umsetzung der Beschlüsse der Enquetekommission, besonders die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden, die Einführung von Wahlkreisen und generell öffentliche Sitzungen der Bürgerschaftsausschüsse. Nicht umgesetzt werden soll der Kommissionsvorschlag zur Professionalisierung des Parlaments. Also kein Abschied vom Feierabendparlament. Außerdem soll die Zahl der Bürgerschaftsabgeordneten mindestens um ein Drittel gesenkt werden. Schließlich, so gar nicht zur Freude von CDU und SPD: weniger Einfluß und weniger Geld für die Parteien, unter anderem durch eine „Verringerung der Wahlkampfkostenpauschale“ und durch den Verzicht auf Parteienproporz in vielen Gremien. Also: „Die Parteien haben keine Vertreter in die Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in die Leitung der Rechnungshöfe und in Wahlorgane zu entsenden“.

Die Statt-Partei also eine Wählervereinigung ohne Programm? Wohl kaum, auch wenn sie selbst dieses Image pflegt mit Sätzen wie „bei Vorliegen neuer Erkenntnisse werden Lösungsansätze überdacht und gegebenenfalls geändert“.

Auch dies dürfte nach unseren Erkenntnissen für alle Parteien gelten. Uli Exner, taz Hamburg