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Ein Ort der Stille, ein Raum der Sprache

■ Wettbewerb zum Denkmal für die Bücherverbrennung entschieden: Hermetisch abgeschlossener Raum soll unter dem Platz vor der Humboldt-Universität entstehen

Sechzig Jahre nach dem faschistischen Studentenspektakel „Aktion Bücherverbrennung wider den undeutschen Geist“ im Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz soll am historischen Ort ein Mahnmal entstehen. In der Nacht vom 10. Mai 1933 waren in Berlin und anderen Universitätsstädten Bücherberge in Flammen aufgegangen, darunter die Werke Heinrich Manns, Bertolt Brechts, Arnold Zweigs, Lion Feuchtwangers oder Erich Kästners. Als „Denk-Ort“ entwarf der israelische Künstler Micha Ullman, der sich in einem von der Senatsbauverwaltung ausgelobten Wettbewerb gegen 22 Mitkonkurrenten durchsetzen konnte, einen quadratischen, hermetisch abgeschlossenen Raum, der abgesenkt in der Mitte des heutigen Bebelplatzes an der Straße Unter den Linden liegt.

Der unterirdische, mit Licht inszenierte Quader stellt eine Bibliothek dar, deren Wände mit leeren Regalen verkleidet sind. Der tote Ort wird durch ein begehbares Glasfenster zu sehen sein, das in der Decke des Raumes eingepaßt ist. Der Raum „lebt“ durch die Betrachter, deren Spiegelungen und Schatten Teil der Bibliothek werden. Das Denkmal sieht außerdem die Sperrung des Platzes als PKW- Stellfläche vor.

Die Skulptur Ullmans, sagte gestern bei der Preisvergabe der Juryvorsitzende Marc Scheps, Direktor des Kölner Museums Ludwig, ging wegen „ihrer unpathetischen Haltung“ als Siegerin aus der Entscheidung hervor. Die Darstellung „der Abwesenheit der Bücher“ und ihrer Produzenten als Bild einer leeren distanzierten Bibliothek versinnliche auf „subtile und diskrete Weise“ einen Zerstörungsakt, „der für heute noch gültig ist“. Scheps: „Der unbetretbare Raum ist ein Denkraum. Er beläßt den Bebelplatz in seiner historischen Gestalt unberührt.“ Die leere Bibliothek deutete auf die Verlustsituation unserer vergangenen und gegenwärtigen Kultur hin. Die Annäherung des in Tel Aviv geborenen Künstlers an das Thema glich einem dialektischen Prozeß. Ullman: „Ich suchte nach einem Raum, der die Stille darstellt und zugleich von der Vergangenheit sprechen kann.“ Der unterirdische Ort ermögliche die Meditation des Betrachters, um Gedanken über die „Fragilität und Verletzlichkeit“ (Scheps) unserer Kultur zu entwickeln.

Das Denkmal für die „notwendige Geschichtsaufarbeitung in einer Zeit der Engstirnigkeit und des Rechtsradikalismus“, so Bausenator Wolfgang Nagel, soll im nächsten Jahr fertiggestellt werden. Der Platz erhalte dabei seine fußläufige Funktion zurück. Die Entwürfe werden bis zum 9. 10. im Stadtforum in der Wallstraße ausgestellt. Rolf Lautenschläger

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