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Sport auf Trümmern

Die Frauen aus Cork gewannen die irische Meisterschaft im schnellsten Feldspiel der Welt  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Noch vor neun Tagen war das Stadion Croke Park in Dublin mit 70.000 Menschen bis auf den letzten Platz ausverkauft: Es ging um die gesamtirische Meisterschaft im Gälischen Fußball. Auch beim Hurling-Endspiel, dem anderen traditionsreichen Spiel, war der Croke Park brechend voll. Vorgestern war das Stadion nur noch eine Trümmerlandschaft: Tribüne und Stehplatzkurven waren bereits eingerissen, weil hier ein gigantisches Stadion entstehen soll. Lediglich die alte Haupttribüne stand noch. Die war auch groß genug für die achttausend Schulmädchen, die das Finale im Camogie – der weiblichen Version des Hurling – sehen wollten.

Hurling und Camogie sind die schnellsten Feldspiele der Welt. Beim Camogie müssen zwei Mannschaften aus je zwölf Spielerinnen versuchen, einen kleinen Lederball in das gegnerische Tor zu befördern. Dazu dürfen sie die Hand, den Fuß oder einen Eschenholzschläger benutzen, der einen Meter lang und am Ende breit abgeflacht ist. Ein Tor zählt drei Punkte. Geht der Ball über die Querlatte zwischen den verlängerten Pfosten hindurch, gibt es einen Punkt.

Es erfordert großes Geschick, den Ball im Laufen auf dem Schläger zu balancieren und gleichzeitig den Attacken der Gegnerinnen auszuweichen. Es sieht gemeingefährlich aus, wenn die Spielerinnen ihre Schläger – die hurleys – wie Keulen über dem Kopf schwingen, doch Verletzungen sind erstaunlicherweise selten.

Hurling und Camogie sind nicht nur die schnellsten, sondern auch die ältesten Ballspiele der Welt. Im „Book of Leinster“, einem epischen Sagenkreis aus dem 12. Jahrhundert, wird ein Hurlingspiel aus dem Jahre 400 v.Chr. beschrieben: „Dreimal fünfzig Jünglinge an einem Ende des Feldes und einer allein am anderen Ende, und der eine Jüngling besiegte die dreimal fünfzig Jünglinge am Tor, indem er jeweils den Ball parierte und zurückschlug. Und als sie dann im Spiel einander die Kleider vom Leib rissen, nahm er ihnen dreimal fünfzig Gewänder ab.“

Vorgestern ging es friedlicher zu, als die Titelverteidigerinnen aus der Grafschaft Cork und das Team aus Galway, das zum ersten Mal seit 31 Jahren das Finale erreicht hatte, um den Camogie-Pokal antraten. Mit dem Ergebnis von 24:14 für Cork kam Galway glimpflich davon.

Finanziell springt für die Spielerinnen nichts heraus: Sowohl Camogie und Hurling als auch Gälischer Fußball sind reiner Amateursport. Bis ins 18. Jahrhundert waren diese Spiele in Irland weit verbreitet. Als sich Sport jedoch aufgrund der politischen und ökonomischen Verhältnisse immer mehr zu einer Sache der Oberschicht entwickelte, gingen die „Volkssportarten“ fast völlig unter. Erst im Zuge der nationalen Bewegung Ende des vergangenen Jahrhunderts setzte ein erneuter Aufschwung ein. 1884 gründeten sieben Männer die Gaelic Athletic Organization (GAA). Die Schirmherrschaft übernahm Erzbischof Croke – nach dem das Dubliner Stadion benannt ist.

Sport und Politik gehörten von Anfang an zusammen. Polizisten, Gefängniswärter und Soldaten durften der GAA nicht beitreten. Diese Regelung entsprang nicht zuletzt der Vorsicht: Da die Bezirksorganisationen der GAA früher gleichzeitig Zentren des Widerstands waren, sollte eine Unterwanderung durch britische Agenten verhindert werden. Als der Verband das Verbot im vergangenen Monat für die nordirischen „Sicherheitskräfte“ erneut bestätigte, hagelte es Vorwürfe von allen Seiten. Verschiedene Belfaster Politiker behaupteten gar, die GAA stecke mit der IRA unter einer Decke.

In Wirklichkeit ist die GAA heutzutage höchst verfassungstreu: Hurling und Gaelic Football sind ein Sprungbrett für politische Karrieren. Wer jahrelang für sein Grafschaftsteam erfolgreich auf Punkt- und Torejagd war, kann sich darauf verlassen, nach dem Rücktritt vom Sport bei den nächsten Bezirkswahlen ebenso erfolgreich abzuschneiden. Manch einer klettert gar noch höher: Jack Lynch, Hurling-Star aus Cork, wurde 1966 irischer Premierminister.

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