Seilschaft – was ist das?

■ Enquetekommission: Schaden durch Vereinigungskriminalität acht Milliarden

Berlin (taz) – Der Begriff ist nicht präzise, aber in aller Munde: die Seilschaft. Rainer Eppelmann, Vorsitzender der Enquetekommission des Bundestages, konstatiert auch einen Bedeutungswandel des Wortes. Hätten sich die Menschen früher unter einer Seilschaft eine akrobatische alpine Kraxlergemeinschaft vorgestellt, so dächten heute die meisten an eine „verschwörerische Gemeinschaft ehemaliger Stützen der SED-Diktatur“. Grund genug, daß sich gestern die Kommission im Berliner Reichstagsgebäude mit „Seilschaften in den neuen Bundesländern“ befaßte.

In der Strafprozeßordnung spielt der Begriff keine Rolle. Für den Staatsanwalt beim Berliner Landgericht, Joachim Erbe, ist er dennoch von Bedeutung. Schließlich gilt auch bei der Aufklärung „vereinigungsspezifischer Wirtschaftskriminalität“ die Zusammensetzung der Täterkreise als einer der Schlüssel zu ihrer Bekämpfung. Die Zahlen seiner Behörde sprechen für sich: 834 Ermittlungsverfahren seit dem Tag der deutschen Einheit. Schadenssumme: 8,8 Milliarden Mark. 106 der Verfahren liegen auf Eis – wegen Personalmangels, erklärt Erbe. Als regelrechte „Domäne der Seilschaften“ hat Erbe die Veruntreuung des DDR-Nachlasses ausgemacht, den illegalen Verkauf von NVA- Ausrüstungsgegenständen etwa oder die „Zweckänderungen“ früherer Operativ-Gelder der Staatssicherheit, die in neu gegründete Firmen investiert wurden und deren Erlöse die Ex-Offiziere alimentieren sollen.

Von rund 6.000 eingegangenen Beschwerden weiß auch der Vertrauensbevollmächtigte beim Vorstand der Treuhandanstalt, Albrecht Krieger, zu berichten. Diese hätten „in erdrückender Weise mit Seilschaften zu tun gehabt“. Der Mann ohne Exekutivbefugnisse in den Breuel-Werken zieht es aber vor, über den Begriff einer „objektiven Kompromittierung“ möglichen klandestinen Absprachen vorzubeugen. Kriterien für die Weiterbeschäftigung leitender Treuhandfunktionäre sind danach die Fragen nach dem Besuch einer Parteischule, der Zugehörigkeit zu höheren Parteigremien oder die nach Führungsfunktionen in den Betriebskampfgruppen.

Manfred Kittlaus, oberster Ermittler in Sachen Regierungs- und Vereinigungskriminalität, urteilt, die Seilschaften hätten bereits „die klassischen Formen der Organisierten Kriminalität“ erreicht. Daß die Verfolgung ehemaliger DDR- Funktionäre nichts mit „Siegerjustiz“ zu tun habe, leitet er daraus ab, daß 40 bis 50 Prozent der ermittelten Täter aus den alten Bundesländern komme. Auf dem Vormarsch: die Ost-West-Seilschaft. Wolfgang Gast